Freie Meinungsbildung ade? Wenn staatliche Behörden das Recht brechen

Die Hanfparade 2011 ist nicht die erste Demonstration in Berlin, deren Teilnehmer sich damit auseinandersetzen müssen, dass man ihnen die Ausübung ihrer Grundrechte verwehrte und sie Opfer von Willkür seitens der Exekutive und Judikative wurden.

Hans Cousto auf der Hanfparade 2010
Hans Cousto auf der Hanfparade 2010

Hans Cousto, der seit den Anfängen der modernen Demonstrationskultur in eben dieser aktiv ist und mit der Fuckparade sehr ähnliche Vorgänge erlebt hat, erklärt im folgenden Text, der hier am 18. Oktober 2011 veröffentlicht wurde, warum das Verbot weiter Teile der Hanfparade 2011 rechtswidrig war und wieso die Organisatoren jetzt für ihr Recht auf freie Meinungsbildung kämpfen müssen. Dazu schildert er, wie die Fuckparade vor zehn Jahren einen gleichartigen Kampf kämpfen musste und schlussendlich gewann.

Wenn Grundrechte nicht selbstverständlich sind

Das Recht mit anderen Menschen zusammen für etwas in der Öffentlichkeit zu demonstrieren ist in Deutschland ein unveräußerliches Grundrecht, das in Artikel 8 (Versammlungsfreiheit) des Grundgesetzes festgeschrieben ist. Das besagte Grundrecht gewährleistet insbesondere Minderheitenschutz und verschafft auch denen die Möglichkeit zur Äußerung in einer größeren Öffentlichkeit, denen der Zugang zu den Medien versperrt ist. Die darauf bezogene Versammlungsfreiheit genießt einen gegenüber der allgemeinen Handlungsfreiheit einen gesteigerten Schutz.
Doch dieses Recht ist in der Bundesrepublik Deutschland keine Selbstverständlichkeit, sondern muss – wie im Fall der Fuckparade 2001 – nicht selten erst bei Gericht eingeklagt werden, wobei es Jahre dauern kann, bis einem das verbriefte Recht auch amtlich zugesprochen wird.

So hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig erst knapp sechs Jahre nach der geplanten Fuckparade 2001 entschieden, dass der Polizeipräsident in Berlin die Veranstaltung Fuckparade 2001 als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes und damit im Sinne des Grundgesetzes hätte behandeln müssen. Das Verbot der Fuckparade im Jahr 2001 war somit rechtswidrig.

Die Tatsache, dass der Leiter der Versammlungsbehörde, Joachim Haß, am 14. Juli 2011 in seinem Ablehnungsbescheid große Teile der Abschlusskundgebung der Hanfparade 2011 als nicht konform mit dem Versammlungsgesetz klassifizierte und dies mit einem vom Bundesverwaltungsgericht am 16. Mai 2007 aufgehobenen Urteil (BVerwG 6 C 23.06 betreffend Fuckparade gegen Versammlungsbehörde Berlin) begründete, löste nicht nur im Kreise der Freunde der Hanfparade Empörung aus. Dies vor allem, weil die Versammlungsbehörde von Berlin als Beklagte an diesem Verfahren beteiligt war.

Der Leiter der Versammlungsbehörde, Joachim Haß, wusste als Prozessbeteiligter also genau, dass das von ihm angeführte Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 2. Mai 2006 (OVG 1 B 4.05) aufgehoben worden war.

Auch die Tatsache, dass Joachim Haß oder eine andere zuständige Person der Versammlungsbehörde für die Veranstalter der Hanfparade 2011 nach der Erteilung des Ablehnungsbescheides nicht zu sprechen waren, löste ebenso Befremden aus. Und nicht zuletzt die Tatsache, dass das Gericht am Samstag trotz dieser Umstände den Bescheid der Versammlungsbehörde nicht aufgehoben hat, löste vor allem bei Juristen Bestürzung aus, vor allem auch, weil bekannt wurde, dass das Gericht und die Versammlungsbehörde in ständigen Kontakt standen bei der Findung der Entscheidung.

Hier wurden offenbar in verschiedener Hinsicht rechtsstaatliche Prinzipien gebrochen. Es sollte wohl eine politisch opportune Entscheidung gefällt werden. Enthält eine geplante Zusammenkunft von Personen Elemente, die sowohl auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die anderen Zwecken dienen, ist sie als Versammlung im Sinne des Grundgesetzes und des Versammlungsgesetzes zu behandeln, wenn die anderen Zwecke nicht aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters erkennbar im Vordergrund stehen. (Leitsatz aus dem Urteil des 6. Senats vom 16. Mai 2007 BVerwG 6 C 23.06)

Der Berliner Paradenstreit

Enstehung und Verbot der Fuckparade – Demonstration gegen Kommerz zu Kommerziell?

Als farbenfrohe Demonstration für Freude und Frieden ist die Berliner Love Parade 1989 der damals sich neu entwickelnden Techno-Szene des Berliner Undergrounds entsprungen. Der Discjockey Dr. Motte meldete seinerzeit als Veranstalter diese Demonstration bei der zuständigen Polizeibehörde an und seiner Einladung zum Friedenstanz folgten etwa 150 Freunde aus der Szene. Mit ihrer Art zu demonstrieren, setzten sie völlig neue Akzente in die Versammlungskultur.

Foto von den Fuckparade 2007 Vorbereitungen, Foto: Wolfgang Sterneck
Foto von den Fuckparade 2007 Vorbereitungen

Mitte der neunziger Jahre war die Love Parade schon weit mehr vom Kommerz als von der Kultur geprägt. Ein paar wirtschaftlich und personell eng verflochtene Firmen hatten das rege Medieninteresse an der Love Parade für die Werbung ihrer Veranstaltungen sowie von teuren Markenprodukten ausgeschlachtet und die Love Parade war vom Konzept her nichts anderes mehr als ein rein kommerzielles Straßenfest. Außer der Love Parade GmbH waren vor allem die Planetcom GmbH, die May Day GmbH sowie die Low Spirit Recordings GmbH an der Ausschlachtung der Berliner Underground-Kultur zum Nachteil der Underground-Szenen in der Stadt beteiligt. Die Love Parade GmbH, eine auf Gewinnstreben ausgelegte Kapitalgesellschaft, verlangte für jeden Musikwagen mehrere Tausend Mark Anmeldegebühr, so dass viele Berliner Szene-Clubs, in denen nicht wenige der groß präsentierten Musiktitel entstanden, keine Teilnahmechancen hatten. Zudem kassierte die Love Parade GmbH jährlich aus den Verkäufen von Bildrechten und Werbeeinnahmen Beträge in Millionenhöhe. Kurzum, die Love Parade GmbH nutzte über Jahre hinweg für ihre Tanzparade in Berlin den Status einer Demonstration und die damit verbundene Förderung mit Steuergeldern (Kosten für Absperrungen und Reinigung zu Lasten der Staatskasse) und konnte so Gewinne in Millionenhöhe erwirtschaften.

Um gegen diesen Missbrauch des Versammlungsrechtes wie auch gegen den damit einhergehenden Trend zur Kommerzialisierung der Berliner Technoszene ein Signal zu setzen, haben sich 1996 vor allem politisch redlich denkende Raver vom Umfeld der Love Parade und ihre Macher distanziert und ab 1997 jeweils am Tag der Love Parade zu einer Demonstration gegen diesen Missbrauch und vor allem auch gegen diese Kommerzialisierung aufgerufen und sich zur Veranstaltung der Hateparade (1997) respektive Fuckparade (ab 1998) versammelt. Somit war den Behörden in Berlin spätestens ab der Anmeldung der Hateparade im Juli 1997 durch DJ Trauma XP der Tatbestand bekannt, dass die Love Parade keine Demonstration im Sinne des Versammlungsrechtes war, sondern eine kommerzielle Tanzveranstaltung. Dennoch duldeten die Polizeibehörden die Love Parade als Demonstration, weil sie so viel Geld und Touristen in die Stadt holte wie keine andere Großveranstaltung in Berlin.

Erst die ursprünglich für den 14. Juli 2001 vorgesehene, dann aber erst am 21. Juli 2001 durchgeführte Love Parade, die wegen einer bereits zuvor für den gleichen Zeitraum am gleichen Ort angemeldeten Demonstration zum Thema „Der Tiergarten gehört allen Berlinern“ untersagt worden war, wurde gemäß Bescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 22. Mai 2001 nicht mehr als Demonstration anerkannt. Zur Begründung hieß es, die Love Parade sei eine reine Musikveranstaltung und weise nicht den für eine Versammlung maßgeblichen verbindenden Zweck der Meinungsbildung und Meinungsäußerung auf. Auch das in dieser Sache angerufene Verwaltungsgericht entschied am 28. Juni 2001 in gleicher Weise und stellte zudem fest, dass die Versammlungseigenschaft auch deshalb zu verneinen sei, weil es sich bei der Love Parade um eine kommerzielle Veranstaltung handle. Es sei nicht gerechtfertigt, rein wirtschaftlich motivierte Zusammenkünfte von Menschen verfassungsrechtlich zu privilegieren. Diese Entscheidung wurde am 6. Juli 2001 vom Oberverwaltungsgericht und am 12. Juli 2001 vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. So war die Love Parade im Jahr 2001 keine Demo, sondern eine reine Straßenveranstaltung (auf der Basis einer straßenrechtlichen Sondernutzungsgenehmigung) und die Macher mussten die Müllbeseitigung sowie andere Nebenkosten bezahlen und nicht mehr der Steuerzahler.

Uneinigkeit bei den Gerichten

Der Antrag von DJ Trauma XP, die Fuckparade im Juli 2001 als Demonstration durchzuführen, wurde vom Polizeipräsidenten in Berlin mit Bescheid vom 14. Mai 2001 zurückgewiesen. Dem eingelegten Widerspruch gegen den Bescheid des Polizeipräsidenten wurde vom Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. Juni 2001 stattgegeben. Das Gericht stellte fest, dass es für die Qualifizierung als Versammlung unerheblich sei, ob Musik und Tanz zur Unterstützung der Versammlungsthemen als spezifische Ausdrucksformen eingesetzt werden. Die Veranstaltung habe gleichwohl deshalb Versammlungscharakter, weil die Verbreitung zahlreicher Handzettel beabsichtigt sei, auf denen das Anliegen der Veranstaltung ausführlich und verständlich dargestellt werde. Zudem verfolge die Fuckparade nicht wie die Love Parade kommerzielle Zwecke. Weder müssen für die Musikwagen Startgebühren entrichtet werden, noch seien Werbeeinnahmen oder sonstige Gewinne zu erwarten. Die Fuckparade habe den Charakter einer Demonstration.

Das Oberverwaltungsgericht änderte diese Entscheidung mit Beschluss vom 6. Juli 2001 wieder mit der Begründung ab, das Schwergewicht der Veranstaltung liege eindeutig auf dem Gebiet der Unterhaltung. Dem schloss sich auch das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 12. Juli 2001 mit einer äußerst realitätsfremden abschließenden Bemerkung an, dass auch der Fuckparade die Möglichkeit bleibe, eine Sondernutzungsgenehmigung für die Straßenbenutzung zu beantragen, wobei deren Erteilung nicht aus zeitlichen Gründen im Hinblick auf den langwierigen, die rechtliche Einordnung der Veranstaltung betreffenden Entscheidungsprozess, versagt werden dürfe. Da eine kostenneutrale Sondernutzungsgenehmigung in nur einem Tag in Berlin nicht erteilt werden kann, wurde der Fuckparade somit ihr Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit mit höchstrichterlichem Segen verwehrt. Die Fuckparade konnte nicht stattfinden. Stattdessen wurde am 14. Juli 2001 für das Demonstrationsrecht und die freie Wahl der Mittel bei einer Versammlung auf öffentlichem Grund demonstriert. Radio Fritz, ein öffentlich-rechtlicher Radiosender in Berlin, solidarisierte sich mit der Fuckparade. Die Djs konnten in der Volksbühne ihre Platten auflegen, die Musik wurde vom Radiosender übertragen und sollte auf der Demonstration aus Radios und Ghettoblastern die verbotenen Soundsysteme ersetzen. Prompt wurden auch die Radios und Ghettoblaster verboten, obwohl das Abspielen von Musik auf Demonstrationen sonst etwas selbstverständliches ist.

Besonders pikant dabei ist die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss feststellte, dass Versammlungen auch dann in den Schutzbereich des Versammlungsfreiheit fallen, wenn sie ihre kommunikativen Zwecke unter Einsatz von Musik und Tanz verwirklichen. Dies gilt jedoch nur, wenn diese Mittel zur kommunikativen Entfaltung mit dem Ziel eingesetzt werden, auf die örtliche Meinungsbildung einzuwirken. Von der Versammlungsfreiheit sind solche Veranstaltungen auch dann erfasst und rechtlich geschützt, wenn sie sich zum Beispiel dafür einsetzen, dass bestimmte Musik- und Tanzveranstaltungen auch in Zukunft ermöglicht werden sollen. Geschützt durch das Grundgesetz ist in solchen Fällen die kommunikative Einflussnahme auf die öffentliche Meinung, um auf die zukünftige Durchführung solcher Veranstaltungen hinzuwirken, nicht aber das Abhalten der Musik- und Tanzveranstaltung selbst. Nach mehreren Gerichtsverhandlungen, die sich insgesamt über etwa sechs Jahren hinzogen, hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 16. Mai 2007 entschieden, dass der Polizeipräsident in Berlin die Veranstaltung Fuckparade 2001 als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes und damit im Sinne des Grundgesetzes hätte behandeln müssen. Das Verbot der Fuckparade im Jahr 2001 war somit rechtswidrig.

Die Chronologie eines Rechtsstreites – gehört Musik zur Meinungsbildung?

Der Leiter der Berliner Versammlungsbehörde, Joachim Haß, hatte in einem Kooperationsgespräch mit dem Veranstalter der Fuckparade am 9. April 2001 angekündigt, die Fuckparade dieses Jahr nicht mehr als Demonstration genehmigen zu wollen. Vorsorglich hatten die Veranstalter der Fuckparade gegen diesen mündlichen Verwaltungsakt am 18. April 2001 Widerspruch eingelegt, jedoch ohne Erfolg. Gegen die Ablehnung der Fuckparade als Demonstration haben die Fuckparade-Organisatoren 21. Mai 2001 vor dem Berliner Verwaltungsgericht einen Eilantrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegen das Land Berlin gestellt. Im Beschluss vom 28. Juni 2001 begründete das Verwaltungsgericht Berlin ausführlich, warum die Fuckparade eine Demonstration im Sinne des Versammlungsgesetzes sei.

Nachdem das Berliner Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 28. Juni 2001 der Fuckparade die Versammlungseigenschaft zuerkannt hatte, reichte die Versammlungsbehörde am 3. Juli 2001 Beschwerde gegen diesen Beschluss beim Oberverwaltungsgericht Berlin ein. Mit Beschluss vom 6. Juli 2001 erklärte das Berliner Oberverwaltungsgericht, dass die geplante Fuckparade 2001 keine Demonstration im Sinne des Versammlungsgesetzes sei.

Am 9. Juli 2001 beantragte der Anmelder der Fuckparade 2001 beim Bundesverfassungsgericht in einem Eilantrag die Aufhebung des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 06.07.2001 und des Bescheides des Polizeipräsidenten in Berlin vom 14.05.2001 zu regeln und dass die mit Schreiben vom 19.03.2001 angemeldete Fuckparade 2001 nach dem Versammlungsgesetz zu behandeln sei. In dem Verfahren über diesen Antrag entschied das Bundesverfassungsgericht im Wege einer einstweiligen Anordnung, dass die Fuckparade 2001 keine Demonstration im Sinne des Versammlungsgesetzes sei.

“Für Demonstrationsfreiheit, für eine freie Wahl der Mittel einer Demonstration”

Nachdem der Antragsteller mit seinem Begehren, die für den 14. Juli 2001 geplante Fuckparade 2001 als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes abzuhalten, nunmehr auch höchstrichterlich gescheitert war, meldete er sogleich für den selben Termin eine Versammlung zum Thema „Für Demonstrationsfreiheit, für eine freie Wahl der Mittel einer Demonstration“ in Berlin-Mitte an. Nach der Anmeldung sollte eine herkömmliche Demonstration mit Transparenten, Megafonen, Sprechchören und Redebeiträgen abgehalten werden; Musikwagen seien nicht vorgesehen. Der Antragsteller rief indes alle Teilnehmer in einem im Internet veröffentlichten Aufruf dazu auf, zivilen Ungehorsam zu zeigen. Dazu sollten alle Teilnehmer Musikinstrumente, Trommeln und Ghettoblaster mitbringen. Weiter hieß es in dem Aufruf wörtlich: „Durch das Mitbringen der Radios zeigen wir auch die immer wieder geforderte innere Verbundenheit: Radio Fritz hat sich solidarisch mit den Veranstaltern gezeigt und stellt uns von 14-20 Uhr eine Frequenz und einen Übertragungswagen zur Verfügung, über den sich unsere DJs, MCs und RednerInnen Gehör verschaffen können.

Mit Bescheid vom 13. Juli 2001 hatte der Polizeipräsident in Berlin die Anmeldung bestätigt und zugleich mit der Auflage versehen, dass das Mitführen von elektronischen Musikabspielgeräten (wie z.B. Ghettoblaster, Radios, CD-Player o.ä.) und Musikinstrumenten untersagt werde. Zwischenzeitlich hatte die Behörde klargestellt, dass hiervon rein mechanisch betriebene Instrumente ausgenommen seien. Zur Begründung hatte sich die Behörde im Kern darauf berufen, dass anderenfalls über den Umweg einer Radioübertragung die Durchführung der Fuckparade 2001 in ihrer ursprünglichen Form ermöglicht würde. Gegen diese Auflagen legte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht in Berlin Widerspruch ein. Gemäß Beschluss vom gleichen Tag wies das Verwaltungsgericht den Antrag auf Widerspruch zurück. Die Beschwerde des Antragstellers beim Oberverwaltungsgericht gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 13. Juli 2001 wurde am folgenden Tag abgelehnt.

Im Hauptverfahren zum 1. Eilverfahren hatte das Verwaltungsgericht Berlin am 23. November 2004 festgestellt, dass der Verwaltungsakt der Versammlungsbehörde zur Fuckparade 2001 rechtswidrig gewesen sei. Es teilte jedoch nicht die Auffassung, dass die Fuckparade 2001 auch ohne Redebeiträge eine Demonstration im Sinne des Versammlungsgesetzes gewesen wäre.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hatte am 2. Mai 2006 die Berufung zurückgewiesen und entschieden, dass die Fuckparade 2001 in ihrer ursprünglich angemeldeten Form ohne Redebeiträge keine Demonstration gewesen wäre. Die Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde wegen der grundlegenden Bedeutung des Urteils jedoch zugelassen.

Sieg der Fuckparade  – Musik gehört zur Meinungsbildung

Fuckparade 2001 - Musik IST eine Form der politischen Meinungsäusserung
Fuckparade 2001 – Musik IST eine Form der politischen Meinungsäusserung

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 16. Mai 2007 entgegen den vorausgegangenen Beschlüssen des Berliner Verwaltungsgerichts und Oberverwaltungsgerichts bestätigt, dass die Fuckparade 2001 in der geplanten Form auch ohne Redebeiträge eine Demonstration im Sinne des Versammlungsgesetzes gewesen wäre und entschieden, dass der Polizeipräsident in Berlin die Veranstaltung Fuckparade 2001 als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes und damit im Sinne des Grundgesetzes hätte behandeln müssen. Die von dem Kläger angemeldete Veranstaltung war als Versammlung zu behandeln, weil nicht zweifelsfrei auszuschließen ist, dass die Veranstaltung, mit Blick auf ihr Gesamtgepräge, für einen Außenstehenden erkennbar auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet war.

Bei der Beurteilung des Gesamtgepräges einer Veranstaltung sind mit Blick auf die besondere Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit im Wege einer Gesamtschau alle maßgeblichen Gesichtspunkte mit der ihnen zukommenden Bedeutung zu berücksichtigen. Dem hat das Oberverwaltungsgericht nicht ausreichend Rechnung getragen. Es hat mehrere relevante Umstände unberücksichtigt gelassen. Nach der vom Bundesverwaltungsgericht angestellten eigenständigen Beurteilung des Gesamtgepräges der Veranstaltung war diese als Versammlung zu behandeln. Dafür, dass die Veranstaltung erkennbar auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sein sollte, sprechen insbesondere die Handzettel, auf denen die Forderungen der Veranstaltung wiedergegeben und näher beschrieben wurden, und die beabsichtigte Wiedergabe der Forderungen auf den an den Lastkraftwagen befestigten Bannern. Von Bedeutung sind auch der Internetauftritt des Klägers, in dem die Forderungen der Veranstaltung ausführlich dargelegt und begründet wurden, und die von dem Kläger initiierte Podiumsdiskussion.

Angesichts der zahlreichen aussagekräftigen Umstände, die für eine Versammlung sprechen, kann nicht angenommen werden, dass die auf Musik, Tanz und Unterhaltung gerichteten Elemente der Veranstaltung im Vordergrund gestanden hätten. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hat auch für zahlreiche andere Demonstrationen eine grundlegende Bedeutung, da ihnen der Status allein wegen des Fehlens von Redebeiträgen nicht mehr verwehrt werden darf.

Urteile zur Fuckparade 2001

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Vom Sinn des Demonstrierens

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Das Recht mit anderen Menschen zusammen für etwas in der Öffentlichkeit zu demonstrieren ist in Deutschland ein unveräußerliches Grundrecht, das in Artikel 8 (Versammlungsfreiheit) des Grundgesetzes festgeschrieben ist. Das besagte Grundrecht gewährleistet insbesondere Minderheitenschutz und verschafft auch denen die Möglichkeit zur Äußerung in einer größeren Öffentlichkeit, denen der Zugang zu den Medien versperrt ist. Die darauf bezogene Versammlungsfreiheit genießt einen gegenüber der allgemeinen Handlungsfreiheit einen gesteigerten Schutz.

Historischer Ursprung des Demonstrationsrechts

Das Demonstrationsrecht respektive das Recht der Versammlungsfreiheit stammt aus der Zeit der Französischen Revolution. Frankreichs Verfassung des 3. September 1791, von der verfassungsgebenden Nationalversammlung etwa zwei Jahre nach der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte verabschiedet, garantiert ausdrücklich die Versammlungsfreiheit. In der Verfassung heißt es unter Titel I. „Grundeinrichtungen, von der Verfassung verbürgt„, dass „die Freiheit der Bürger, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln in Übereinstimmung mit den Polizeigesetzen“ gewährleistet ist. Des weiteren wurde in diesem Zusammenhang festgeschrieben, dass die gesetzgebende Gewalt keine Gesetze erlassen kann, welche die Ausübung der natürlichen und bürgerlichen Rechte, die durch die Verfassung verbürgt sind, beeinträchtigen oder hindern.

Die Paulskirchenverfassung

Frankfurter Nationalversammlung 1848 - Gemälde von Ludwig von Elliott
Frankfurter Nationalversammlung 1848 – Gemälde von Ludwig von Elliott

In Deutschland wurde die Versammlungsfreiheit in der so genannten Paulskirchenverfassung von 1849 garantiert. Die Paulskirchenverfassung war die erste demokratisch beschlossene Verfassung für ganz Deutschland. Sie wurde als Verfassung des Deutschen Reiches am 27. März 1849 von der verfassungsgebenden Nationalversammlung beschlossen, die nach der Märzrevolution von 1848 in der Paulskirche in Frankfurt am Main zusammengetreten war. Am 28. März 1849 wurde sie durch die Aufnahme ins Reichsgesetzblatt amtlich verkündet und trat damit juristisch in Kraft.

 Im Reichsgesetzblatt, 16. Stück (Nr. 16), ausgegeben zu Frankfurt am Main am 28. April 1849, ist die Verfassung des Deutschen Reiches wiedergegeben. Im Abschnitt VI „Die Grundrechte des Deutschen Volkes„, Artikel VIII, § 161 heißt es „Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln; einer besonderen Erlaubnis dazu bedarf es nicht. Volksversammlungen unter freiem Himmel können bei dringender Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit verboten werden.“ (RGBl. 1849 S. 101; 130)

Die Versammlungsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland

In der Bundesrepublik Deutschland ist die Versammlungsfreiheit in Artikel 8 des Grundgesetzes als Grundrecht garantiert.

Artikel 8 Grundgesetz (Versammlungsfreiheit)

  1. Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
  2. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Demonstrieren – Bürgerrecht oder Menschenrecht?

Das Grundgesetz garantiert „allen Deutschen“ in der Bunderepublik das Recht auf Versammlungsfreiheit. Es handelt sich hier somit um ein Bürgerrecht. Im Land Berlin haben demgegenüber „alle Männer und Frauen“ das Recht, sich zu versammeln. In Berlin ist somit die Versammlungsfreiheit nicht nur ein Bürgerrecht, sondern ein Menschenrecht. So heißt es in der Verfassung von Berlin, Abschnitt II „Grundrechte, Staatsziele“ im Artikel 26: „Alle Männer und Frauen haben das Recht, sich zu gesetzlich zulässigen Zwecken friedlich und unbewaffnet zu versammeln. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Die Demonstration – Instrument der Meinungsbildung

Demonstrationszug auf der Hanfparade 1999
Demonstrationszug auf der Hanfparade 1999

Eine Versammlung unter freiem Himmel auf öffentlichem Grund, im Volksmund Demonstration genannt, dient der öffentlichen Meinungsbildung und gehört ebenso wie die Meinungsfreiheit zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen der demokratischen Gesellschaftsordnung und genießt als Mittel zur gemeinsamen Sichtbarmachung von Überzeugungen und gesellschaftpolitischen Forderungen einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz, dem gegenüber Rechte anderer (z.B. von Anwohnern, Verkehrsteilnehmern und Gewerbetreibenden) zurücktreten müssen, da die Versammlungsfreiheit elementar die geistige Auseinandersetzung sowie den Kampf der Meinungen als Lebenselement der Menschen im freiheitlich demokratischen Rechtsstaat belebt. Die Privilegierung des Demonstrationsrechtes gegenüber anderen Freiheitsrechten basiert auf der besonderen Schutzbedürftigkeit der freien Meinungskundgabe. Darum kann eine Demonstration nur dann als solche anerkannt werden, wenn eine solche kollektive Meinungsbildung oder Meinungskundgabe objektiv vorliegt.

Wegen des hohen Ranges des Demonstrationsrechtes müssen Anwohner oder auch Verkehrsteilnehmer nicht selten Einschränkungen in ihrer freien Mobilität erdulden. Dies ist jedoch nur dann hinnehmbar, wenn das Demonstrationsrecht eng gefasst wird. Darum hat der Gesetzgeber zulässige Beschränkungen der Versammlungsfreiheit und somit auch des Demonstrationsrechtes im Versammlungsgesetz festgeschrieben. Diese Beschränkungen betreffen Volksfeste und andere Volksbelustigungen wie auch kommerzielle Veranstaltungen, denn hier bestimmt in erster Linie der Wunsch nach gemeinsamer Unterhaltung das Zusammentreffen der Teilnehmer und nicht die gemeinsame Kundgabe einer Meinung oder politischer Forderung. In den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit fallen Versammlungen zwar auch dann, wenn sie ihre kommunikativen Zwecke unter Einsatz von Musik und Tanz verwirklichen. Dies ist zu bejahen, wenn diese Mittel zur kommunikativen Entfaltung mit dem Ziel eingesetzt werden, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken.

Zusammengefasst heißt das, dass wenn eine geplante Zusammenkunft von Personen Elemente enthält, die sowohl auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind (Lieder mit politischen Botschaften, Plakate, Flyer, Reden), als auch solche, die anderen Zwecken dienen (Tanzmusik, Tanz, Spaß), ist sie als Versammlung im Sinne des Grundgesetzes und des Versammlungsgesetzes zu behandeln, wenn die anderen Zwecke nicht aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters erkennbar im Vordergrund stehen.

Beim Demonstrieren muss man nicht ernst sein, auch Spaß ist erlaubt!

Die Demonstration Hanfparade

Die Hanfparade ist nicht nur eine Demonstration, bei der die Missbilligung von Bestimmungen im BtMG seitens der Teilnehmer zum Ausdruck gebracht wird, sondern auch eine Kritik an der oft oberflächlichen und einseitigen Berichterstattung über Drogen im allgemeinen und Cannabis im speziellen in den Massenmedien. Vertreter dieser Medien werden die Hanfparade beobachten und darüber berichten. Für diese Medienvertreter ist immer die Zahl der Teilnehmer eine wichtige Größe für die Art der Aufmachung ihrer Berichterstattung. Je mehr Leute zur Hanfparade erscheinen, umso schwieriger wird es für diese Medienvertreter, die Hanfparade als Ganzes sowie die zum Ausdruck gebrachten Meinungskundgebungen tot zu schweigen. Deshalb ist es wichtig, dass viele Leute zur Hanfparade kommen und dass Botschaften zur allgemeinen Meinungsbildung klar und gut verständlich vermittelt werden. Genau darin liegt der Wesenskern der Versammlungsfreiheit.

Quellen

Berlin, 1. Februar 2008

Hans Cousto

Kupferstichzeichnung von Voltaire und Diderot im Cafe Procope

Menschenrechte und Freiheit

Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen) ist einer der Grundtexte, mit dem am 26. August 1789 die Demokratie und Freiheit in Frankreich und in der Folge in ganz Europa begründet wurden.
Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte beinhaltet eine Präambel und 17 Artikel. Sie enthalten die grundlegenden Bestimmungen über den Menschen, seine Rechte und die Nation. Sie erklärt, dass es natürliche und unveräußerliche Rechte wie Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung geben muss. Jeder Mensch muss gleich sein, besonders vor dem Gesetz und dem Recht.

Das Kaffeehaus – Geburtsort der Menschenrechte

Die Idee der natürlichen und unveräußerlichen Menschenrechte wurde in Paris in einem Kaffeehaus ausformuliert. Dies geschah zu einer Zeit, als Kaffeehäuser seitens der Behörden beobachtet wurden wie heute einschlägige Treffpunkte, an denen sich Kiffer treffen.
Das Kaffeehaus bildete zu jener Zeit oft den äußeren Rahmen für die Vertiefung und Organisation des bürgerlichen Selbstbewusstseins. Seine Bedeutung erhielt es als öffentlicher, praktisch jedem zugänglicher, gesellschaftlicher Treffpunkt, den es so vorher nicht gab. Im Sinne bürgerlicher Emanzipation bildete sich hier eine Gegenwelt zum höfischen Leben des Adels und eine Kultur um den Kaffee, die den Aufstieg der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ebenso begleitete wie die Integration des Kaffees die Gesellschaft. Gleichzeitig trafen sich hier kritische und fortschrittliche Denker um ihre Ideen auszutauschen. Kein Wunder also, dass die Obrigkeiten die Kaffeehäuser (besonders aus politischen Gründen) kontrollieren ließen und zudem auch immer wieder versuchten, sie zu verbieten.

Das Kaffeehaus „Procope“

Kupferstichzeichnung von Voltaire und Diderot im Cafe Procope
Kupferstichzeichnung von Voltaire und Diderot im Cafe Procope

In Paris wurde das erste Kaffeehaus im Jahre 1671 eröffnet. Achtzehn Jahre später, 1689, eröffnete der Sizilianer Francesco Procopio di Cotelli im Bezirk Saint-Germain-des-Prés in der Straße der Alten Komödie (rue de l’Ancienne Comédie) das Kaffeehaus „Procope“, das bis heute existiert. Drei Jahre später eröffnete in der gleichen Straße die „Comédie-Française“. Durch die Eröffnung des Theaters in der selben Straße entwickelte sich das „Procope“ rasch zum bekanntesten Literatencafé Frankreichs. Autoren und Intellektuelle wie Voltaire (François Marie Arouet), Jean-Jaques Rousseau, Denis Diderot, Jean le Rond d’Alembert und Anführer der Revolution wie Georges Jacques Danton (Rechtsgelehrter) und Jean-Paul Marat (Arzt, Wissenschaftler, Politologe, Schriftstelle, Journalist) verkehrten regelmäßig im „Procope“. Diderot und d’Alembert entwickelten im „Procope“ das Konzept der modernen Enzyklopädie und gaben 1751 in Paris den ersten Band der „Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers“ heraus.

Das Propoce – Benjamin Franklins Stammkneipe

Benjamin Franklin in einem Gemälde von Jean-Baptiste Greuze
Benjamin Franklin in einem Gemälde von Jean-Baptiste Greuze

Benjamin Franklin, Verleger, Staatsmann, Schriftsteller, NaturwisUnsere Philosophiesenschaftler, Erfinder und Naturphilosoph diskutierte im „Procope“ mit Künstlern und Intellektuellen die Konzepte einer modernen Verfassung und schrieb dort wesentliche Passagen der „Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika“. Franklin war nicht nur Mitunterzeichner der „Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika“ (Declaration of Independence; offiziell: The unanimous Declaration of the thirteen united States of America) vom 4. Juli 1776, des „Friedens von Paris“ (Ende des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges) vom 3. September 1783 und der „Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika“ vom 17. September 1787, sondern auch Erfinder des Blitzableiters (1752) und Begründer der ersten Leihbibliothek der Welt. Diderot und d’Alembert bezeichneten Franklin als „Verkörperung der praktischen Weisheit“ und Voltaire soll ihn mit den Worten charakterisiert haben: „Er entriss dem Himmel den Blitz und den Tyrannen das Zepter“.

Das Kaffeehaus „Procope“ war auf jeden Fall eine Geburtsstätte neuer Ideen, die für manche Machthaber jener Zeit nicht ganz unbegründet bedrohlich erschienen. Dies Tatsache, dass das „Procope“ für viele andere Kaffeehäuser Vorbildcharakter hatte, machte Kaffeehäuser generell suspekt für bestimmte Kreise der Obrigkeit. Trotz Revolution blieb das Kaffeehaus „Procope“ in Paris, wie auch die meisten Kaffeehäuser in der Stadt, seitens der Behörden unbehelligt.

Die Erklärung der Menschenrechte

Bildnis von Marquis de La Fayette
Bildnis von Marquis de La Fayette

Marquis de La Fayette, der auf der Seite der Kolonisten am Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg teilnahm, wurde 1789 in Frankreich Mitglied der Generalstände und brachte nach amerikanischem Vorbild als einer der ersten einen Entwurf zu einer Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte in die neue Nationalversammlung ein. Die am 26. August 1789 von der Nationalversammlung verkündete Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, Produkt einer langwierigen Debatte und unzähliger Entwürfe sowie Änderungsanträgen, beruhte jedoch nur mittelbar auf seinen Entwurf. Doch das Leitmotiv der Menschenrechte, das in Artikel 4 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte festgeschrieben wurde, entspricht ganz seiner Überzeugung:

Die Freiheit besteht darin, alles tun zu dürfen, was einem anderen nicht schadet: Die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen hat also nur die Grenzen, die den anderen Mitgliedern der Gesellschaft den Genuss eben dieser Rechte sichern. Diese Grenzen können nur durch das Gesetz bestimmt werden.

Die Kirche und die Menschenrechte

Am 10. März 1791 verurteilte Papst Pius VI. die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Und bis heute hat der Vatikan als einziger Staat in Europa die Europäische Menschenrechtskonvention nicht unterzeichnet. Der freiheitliche und demokratische Rechtsstaat, der auf den natürlichen und unveräußerlichen Menschenrechten basiert, ist nicht, wie oft behauptet wird, ein Kind der so genannten „christlich abendländischen Wertegemeinschaft“, sondern das Kind der Französischen Revolution und somit das Kind der „revolutionären abendländischen Wertegemeinschaft“.

Bildnis von Gabriel de Riqueti, comte de Mirabeau
Bildnis von Gabriel de Riqueti, comte de Mirabeau

So waren für den Marquis de Mirabeau der Adel und die Kirche die Haupthindernisse für die Freiheit. Mirabeau, der Abgeordneter und eine der führenden Personen während der Anfangszeit der Französischen Revolution war, wurde 1790 Präsident des Jakobinerklubs und hielt 1791 den präsidialen Vorsitz der Nationalversammlung. Parallel zu seinen politischen Aktivitäten fertigte der schriftstellerisch begabte Mirabeau im Verborgenen einige erotische Werke an, die bis heute einen großen Anklang finden. Sein Roman „Le Rideau levé, ou l’Education de Laure“ (Der gelüftete Vorhang oder Lauras Erziehung) erschien 1786 (anonym). Sein Roman ist eines der freizügigsten erotischen Bücher der Aufklärung, mit dem Mirabeau für sexuelle Freiheit und Selbstbestimmung der Geschlechter plädiert sowie für die Notwendigkeit einer Verbindung zwischen geistiger mit körperlicher Liebe. Nur dadurch entstehe seiner Meinung nach das vollkommene Glück. Dieses Weltbild passt in das philosophische Selbstverständnis der Aufklärung, welches die größtmögliche Glückseligkeit der Menschen als Ideal sah.
Zu weiteren Klassikern der erotischen Literatur der Aufklärung wurden auch die „Stufenleiter der Wollust“ (1798), wo Mirabeau seinen jugendlichen Helden auf so manchen Gipfel des Genusses führt, und „Die Gespräche der Aloisia“, wo ebenfalls der ausschweifende Lebensgenuss zum Thema gemacht wurde.

Die Menschen- und Bürgerrechte wurden von Personen initialisiert, die weit mehr einer hedonistischen Lebensweise frönten und weit weniger einer christlich-asketischen Lebensart folgten. Deshalb muss die Verknüpfung der Menschenrechte mit dem Wirken der christlichen Kirchen als propagandistische Irreführung bezeichnet werden. Schließlich sind die christlichen Kirchen respektive die von ihnen beeinflussten Staatsregierungen über Jahrhunderte hinweg nicht durch ein Engagement für Menschenrechte aufgefallen, sondern durch Vernichtung von Kulturen und Völkermord sowie durch Ausbeutung und Sklaverei.

Französische Verfassung vom 3. September 1791

Frankreichs Verfassung vom 3. September 1791, von der Verfassunggebenden Nationalversammlung genau vier Monate nach der Verfassung Polens (erste moderne Verfassung eines europäischen Landes) verabschiedet, entstand im Zuge der Französischen Revolution. Mit ihr wurde das revolutionäre Frankreich von einer absolutistischen in eine konstitutionelle Monarchie umgewandelt, was allerdings nur rund ein Jahr Bestand hatte. Dennoch ist diese Verfassung ein Meilenstein der Rechtsgeschichte, denn nie zuvor wurden in einer Verfassung eines Staates die Menschenrechte so klar umrissen und definiert wie in jener vom 3. September 1791. So heißt es im Titel I:

„Grundeinrichtungen, von der Verfassung verbürgt“, Nr. 3

Die gesetzgebende Gewalt kann keine Gesetze erlassen, welche die Ausübung der natürlichen und bürgerlichen Rechte, die in diesem Abschnitt bezeichnet und durch die Verfassung verbürgt sind, beeinträchtigen oder hindern. Und da die Freiheit nur darin besteht, alles das tun zu können, was weder den Rechten eines anderen noch der öffentlichen Sicherheit schadet, kann das Gesetz Strafen gegen die Handlungen festsetzen, welche die öffentliche Sicherheit oder die Rechte eines anderen angreifen und dadurch der Gesellschaft schaden würden.

Diese Formulierung impliziert, dass Gesetze, die die persönliche Freiheit einschränken, nur erlassen werden dürfen, wenn dies unabdingbar zur Gewährleistung der persönlichen Freiheit aller anderen ist oder die öffentliche Sicherheit dies erfordert. Alle anderen Einschränkungen der persönlichen Freiheit sind somit nicht rechtens.

Georg Büchner und die Menschenrechte

Bildnis von Georg Büchner
Bildnis von Georg Büchner

Welche Irrungen und Exzesse Beschränkungen der Freiheit, die dieser Maxime zuwiderlaufen, zur Folge haben können, beschrieb Georg Büchner in anschaulicher Weise in dem Drama Dantons Tod. Büchner schrieb das Drama von Januar bis Februar 1835. Im gleichen Jahr erschien eine von Karl Gutzkow herausgegebene Fassung im Literatur-Blatt Eduard Dullers „Phönix. Frühlings-Zeitung für Deutschland“ und eine Buchfassung mit dem von Duller zur Beschwichtigung der Zensur erdachten Untertitel „Dramatische Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft“. Das Stück ist damit das einzige noch zu Lebzeiten Büchners veröffentlichte Drama – wenn auch in stark zensierter Fassung. Die Uraufführung fand erst am 5. Januar 1902 im Berliner Belle-Alliance-Theater als Produktion des Vereins Neue Freie Volksbühne statt, da das Stück lange Zeit als unspielbar galt.

Im Ersten Akt legt Büchner in Anlehnung an die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte dem Politiker aus der Zeit der Französischen Revolution Marie-Jean Hérault de Séchelles die folgenden Worte in den Mund:
In unsern Staatsgrundsätzen muss das Recht an die Stelle der Pflicht, das Wohlbefinden an die der Tugend und die Notwehr an die der Strafe treten. Jeder muss sich geltend machen und seine Natur durchsetzen können. Er mag nun vernünftig oder unvernünftig, gebildet oder ungebildet, gut oder böse sein, das geht den Staat nichts an. Wir alle sind Narren, es hat keiner das Recht, einem andern seine eigentümliche Narrheit aufzudringen. – Jeder muss in seiner Art genießen können, jedoch so, dass keiner auf Unkosten eines andern genießen oder ihn in seinem eigentümlichen Genuss stören darf.

Der Büchnerpreis

Nach Georg Büchner ist einer der bedeutendsten Literaturpreise im deutschsprachigen Raum benannt. Der Büchnerpreis wurde erstmalig am 11. August 1923 vom Volksstaat Hessen gestiftet und in der Landeshauptstadt Darmstadt in einer Feierstunde übergeben. Der Volksstaat Hessen war ein selbständiges deutsches Land und Bestandteil des Deutschen Reichs. Er entstand nach der Absetzung des Großherzogs Ernst Ludwig am 8. November 1918 aus dem Großherzogtum Hessen. Der Begriff Volksstaat bedeutet Demokratie im Gegensatz zur vormaligen konstitutionellen Monarchie. Im Volksstaat Hessen fühlte man sich in den 20er Jahren den Staatsgrundsätzen, wie sie von Büchner ausformuliert wurden, offenbar sehr verpflichtet und benannte deshalb den Literaturpreis nach ihm. In Hessen galt mal der Grundsatz: Jeder muss in seiner Art genießen können, jedoch so, dass keiner auf Unkosten eines andern genießen oder ihn in seinem eigentümlichen Genuss stören darf.

Quellen

von Hans Cousto