Berliner Deklaration

Einleitende Worte

Seit Jahrzehnten appellieren die unterschiedlichsten Organisation an die Bundesregierung, die Kriminalisierung von Drogenkonsumenten zu beenden. Dies war bisher jedoch nicht von Erfolg gekrönt – ganz im Gegenteil, noch nie war die Zahl der registrierten Betäubungsmitteldelikte so hoch wie im Jahr 2017. Im Jahr 2017 lag diese bei 330.580, davon betrafen 203.389 allein Delikte im Zusammenhang mit Cannabis, wobei hier der Anteil der auf den Konsum bezogenen Delikte über 80 Prozent betrug.

In die Berliner Deklaration sind Textpassagen eingeflossen aus der Heidelberger Deklaration (verfasst von Werner Pieper) aus dem Jahr 1996 und der damit einhergehenden Kampagne „Kein Knast für Drogen“. Des weiteren wurden Textpassagen übernommen aus dem Forderungskatalog des Bundesverbandes der Eltern und Angehörigen für akzeptierende Drogenarbeit e. V. aus den späten 90er Jahren, aus der Stellungnahme der Drogen- und Suchtkommission beim Bundesministerium für Gesundheit zur Verbesserung der Suchtprävention aus dem Jahr 2002, aus dem Catania Rapport des Europäischen Parlamentes „Empfehlung des Europäischen Parlaments an den Rat und den Europäischen Rat zu der europäischen Strategie zur Drogenbekämpfung“ aus dem Jahr 2004, aus dem Manifest für sichere und gesunde Drogenpolitik in Europa der Europäischen Vereinigung für eine gerechte und effektive Drogenpolitik (ENCOD) aus dem Jahr 2004, aus dem Manifest des Schildower Kreises sowie der Resolution deutscher Strafrechtsprofessorinnen und –professoren an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2013, aus dem drogenpolitischen Manifest „Weltkulturerbe der Psychonautik“ von Hans Cousto aus dem Jahr 2010, aus dem Manifest von LEAP Deutschland (Law Enforcement against Prohibition) sowie aus der Cannabispetition des Deutschen Hanfverbandes.

Download

Die Berliner Deklaration kann hier heruntergeladen und mitgezeichnet werden. Reicht sie gerne im Freundeskreis herum! Nach dem Ausfüllen bitte als Brief, Fax oder Scan an die Drogenbeauftragte der Bundesregierung senden. Die aktuellen Kontaktdaten der Drogenbeauftragten findest du auf ihrer Webseite drogenbeauftragte.de.

Wortlaut

Wir, die Anwesenden der
Hanfparade am 11. August 2018
und andere an der Thematik Interessierte erklären hiermit unter dem Motto
Aufklärung statt Verbote

Drogenkontrollen – ausgenommen im Straßenverkehr oder bei bestimmten beruflichen Anforderungen – sind irrationale Akte sozialer Kontrolle ohne generalpräventive Wirkung, die grundlegende Menschenrechte verletzen. Drogenprobleme lassen sich nicht strafrechtlich, sondern nur mit wissenschaftlich fundierter Aufklärung und durch kulturelle Integration lösen. Aufklärung zu Erlangung von Drogenkompetenz, Drogenmündigkeit und Drogenautonomie (das Gegenteil von Drogenabhängigkeit) ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Der Staat darf die Bürger durch die Drogenpolitik nicht schädigen. Es ist deshalb notwendig, Schaden und Nutzen der Drogenpolitik ideologiefrei wissenschaftlich zu überprüfen. Das kann nach unserer Auffassung nur dazu führen, die Drogenprohibition aufzugeben und legale Bezugswege zu schaffen.

Wir wissen

  • dass die religiöse, rituelle, hedonistische und medizinische Nutzung natürlicher Drogen wie z.B. Cannabis, Zauberpilze und Peyote die Menschheit von Urbeginn an begleiten;
  • dass der Gebrauch dieser und diverser synthetischer Substanzen wie zum Beispiel LSD, MDMA oder Methylon nicht pauschal illegalisiert gehört, da er für viele Menschen zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit dient;
  • dass die repressive Politik der vergangenen Jahre und die von ihr erzeugten Marktmechanismen mehr individuelle und gesellschaftliche Schäden bewirken, als dies Drogen je könnten;
  • dass Streckmittel und Verunreinigungen in Produkten auf dem Schwarzmarkt eine erhebliche zusätzliche Gesundheitsgefährdung darstellen;
  • dass die derzeitigen Drogenkontrollmaßnahmen als ineffizient und nutzlos zu klassifizieren sind, da sie ein großes Hindernis zur Einführung von neuen Strategien, um das Problem sowohl auf globaler wie auf lokaler Ebene anzugehen, darstellen. Es ist zu befürchten, dass die Verstärkung der aktuellen Politik zu einer Verschlechterung der Drogensituation beiträgt und zunehmend die Glaubwürdigkeit dieser Politik in der breiten Öffentlichkeit im allgemeinen schwindet.
  • dass der Konsum psychoaktiver Substanzen als ein Handeln wahrgenommen werden kann, dass unter bestimmten Bedingungen in die Lebenswirklichkeit der Menschen integrierbar ist, dort einen berechtigten Platz finden und mit hochgeschätzten Werten der Gesellschaft vereinbar sein kann.

Wir verurteilen

  • dass eine hohe Anzahl von Menschen zu verfehlten Gefängnisstrafen verurteilt wurden, weil sie durch gewaltlose Drogendelikte ohne Schaden für Dritte gegen die Verbotsgesetze des BtMG verstoßen haben;
  • dass die Herstellung von und der Handel mit illegalisierten Drogen die wichtigste Profitquelle der europäischen Mafiaorganisationen darstellen und sowohl ihre Möglichkeiten erhöhen, andere zu bestechen als auch, straffrei auszugehen;
  • dass erhebliche Polizeikräfte durch die Drogenfahndung gebunden werden, die bei der Verfolgung Schwerkrimineller oder der Überwachung von terrorverdächtigen „Gefährdern“ fehlen;
  • die Tatsache, dass der Deutsche Bundestag sich mehrheitlich gegen eine Evaluierung der Auswirkungen der derzeitigen Drogenpolitik ausgesprochen hat, denn wir sind der Überzeugung, dass die von den Drogen ausgehenden Gefahren unter anderem unter wissenschaftlichen, soziologischen und kulturellen Gesichtspunkten nicht nur durch eine genaue Untersuchung der objektiven und vergleichbaren Daten, sondern auch unter sorgfältiger Beurteilung aller anderen Folgen und Schäden für die Entwicklung der Gesellschaft analysiert werden müssen, um zu verhindern, dass bei der Analyse der zahlreichen Probleme im Zusammenhang mit Drogen eine zu starke Vereinfachung betrieben wird, und fordern, dass diese Analysen und Beurteilungen veröffentlicht werden.

Wir propagieren nicht

den Konsum von Drogen und wir sind besorgt über das Ausmaß des Drogenmissbrauchs weltweit. Wir sind ebenso besorgt über die zerstörerischen Auswirkungen durch die Verbrechen gewalttätiger Drogengangs und Kartelle auf der ganzen Welt. Keines dieser Probleme wird durch die derzeitige Drogenpolitik gelöst. Tatsächlich blühen Drogenmissbrauch und organisierte Kriminalität auf dem Boden des bestehenden Drogenverbots, ähnlich wie sie es während der Zeit der Alkohol-Prohibition in den USA taten.

Wir bemühen uns

um Aufklärung der Öffentlichkeit, insbesondere von Jugendlichen. Wir wollen realistische und glaubwürdige, weil auf eigenen Erfahrungen und nicht auf veralteten Theorien und staatlicher Propaganda basierende, Informationen über Drogengebrauch, Wirkungen und Risiken verfügbar machen. Keiner politischen Macht steht das moralische Recht zu, den Gebrauch psychoaktiver Substanzen pauschal zu verbieten.

Wir fordern

  • dass die nationale Drogenpolitik auf wissenschaftlichen Erkenntnissen im Hinblick auf jeden Drogentyp und nicht auf einem emotionalen Impuls basieren muss, da jedes drogenbezogene Problem einen spezifischen Ansatz erfordert, sowie in der Erwägung, dass eine Verallgemeinerung des Ansatzes die Glaubwürdigkeit aller Teilaspekte dieser Politik unterminiert;
  • die soziale und wissenschaftliche Erforschung illegalisierter Stoffe für einschlägige medizinische und soziale Zwecke zu verstärken;
  • ein stärkeres Gewicht auf die Aspekte Schadensbegrenzung, Information, Prävention, Behandlung und Berücksichtigung des Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Menschen mit Problemen infolge des Konsums von illegalisierten Stoffen zu legen und Maßnahmen zu ermitteln, die die soziale Ausgrenzung der Betroffenen verhindern können, statt repressive Strategien umzusetzen, die an die Verletzung der grundlegenden Menschenrechte grenzen und häufig zu einer solchen geführt haben;
  • die notwendigen Informationsinitiativen zu verstärken und für ihre angemessene Finanzierung zu sorgen, um über illegalisierte Stoffe aufzuklären und dem Drogenkonsum vor allem an Schulen vorzubeugen, und um die negativen Auswirkungen des Drogenkonsums und die damit zusammenhängenden Gefahren einzuschränken;
  • Nachdruck auf verstärkte Aufklärungsmaßnahmen zu legen, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Folgen des Konsums der verschiedenen Arten von Drogen (insbesondere synthetischen) basieren müssen, um jedermann klar und unmissverständlich warnen zu können;
  • die Beteiligung und Einbeziehung der Drogenabhängigen und Konsumenten und von Freiwilligendiensten sowie der Öffentlichkeit bei der Lösung der drogenbedingten Probleme festzulegen und erheblich zu verstärken;
  • die Forschung im Bereich der Verwendung von Pflanzen, deren Anbau gegenwärtig illegalisiert ist oder sich in einer Grauzone befindet, etwa Hanf, Opium oder Kokablätter, im Hinblick auf medizinische Anwendungen, Lebensmittelsicherheit, nachhaltige Landwirtschaft, Erzeugung alternativer Energie, Ersetzung holz- oder ölbasierter Produkte oder im Hinblick auf sonstige nützliche Zwecke zu verstärken;
  • die Abschaffung des bestehenden Drogenverbots und die Einführung einer neuen Politik der Kontrolle und Regulierung von derzeit illegalisierten Drogen;
  • dass die Bundesländer – wie derzeit bei den Drogenkonsumräumen (Fixerstuben) – die gesetzgeberische Freiheit erhalten sollten, um verschiedene Modelle auszuprobieren, die eine gute Balance zwischen der Selbstbestimmung des Einzelnen über seinen Körper und der Notwendigkeit einer vernünftigen Regulierung herstellen, um Todesfälle, Krankheiten, Abhängigkeit und sonstige Schäden vorzubeugen;
  • dass nach dem Ende des Drogenverbotes alle Menschen, die aufgrund von Strafvorschriften im BtMG verurteilt wurden und keinem Dritten dabei einen Schaden zugefügt haben, umgehend entlassen, ihre Eintragung im Strafregister aufgehoben und ihre Bürgerrechte wieder hergestellt würden.

Wir befürworten

für jeden erwachsenen und kompetenten Menschen die freie Wahl der psychoaktiven Substanzen zur Erforschung eigener, nicht-alltäglicher Bewusstseinszustände. Dafür muss die Voraussetzung geschaffen werden, dass umfassende fachkundige Orientierungshilfen statt pauschaler Verteufelung angeboten werden.

  • Die umgehende Amnestie von Opfern des Drogenkriegs;
  • nationale und internationale Abkommen, die einer Entkriminalisierung entgegenstehen, zu überdenken und neu zu formulieren;
  • das Ende des Drogenkrieges.

Wir hoffen auf Frieden.

Quellenverzeichnis

In diesen Text sind Begriffe und Passagen von folgenden Dokumenten eingeflossen:

Heidelberger Deklaration
http://www.drogeninfo.de/files/heidelbergerdek.htm

Kein Knast für Drogen
http://archiv.hanflobby.de/recht/kein-knast-fuer-drogen.html

Forderungskatalog Bundesverband der Eltern und Angehörigen für akzeptierende Drogenarbeit e. V.
https://web.archive.org/web/20160126082009/http://www.akzeptierende-eltern.de/de/profil/forderungskatalog

Stellungnahme der Drogen- und Suchtkommission zur Verbesserung der Suchtprävention
https://www.drogenkult.net/index.php/text004.pdf?file=text004&view=pdf

CATANIA RAPPORT, EUROPÄISCHE PARLAMENT, 2004
http://encod.org/info/CATANIA-RAPPORT-EUROPAISCHE.html

MANIFEST FÜR SICHERE UND GESUNDE DROGENPOLITIK IN EUROPA
http://encod.org/info/MANIFEST-FUR-SICHERE-UND-GESUNDE.html

Manifest Schildower Kreis
http://schildower-kreis.de/manifest/

Das Weltkulturerbe der Psychonautik – ein drogenpolitisches Manifest
https://www.drogenkult.net/?file=text013&view=4

Das Manifest von LEAP Deutschland
http://leap-deutschland.de/manifest/

Cannabispetition Deutscher Hanfverband
https://hanfverband.de/sites/hanfverband.de/files/cannabispetition2017_begruendung.pdf

Opiumhöhle in San Francisco (USA) um 1890

Irrationale Drogenpolitik stoppen!

Zu Beginn des Jahrhunderts sorgten die Opiumhöhlen der chinesischen Einwanderer an der Westküste in den USA für Schlagzeilen in den Medien, gegen Endes des Jahrhunderts waren es die Fixerstuben in der Schweiz, in den Niederlanden und in einigen Bundesländern Deutschlands. Die Opiumhöhlen waren Anlass für die Einführung einer restriktiven (einschränkenden) Betäubungsmittelpolitik, die Fixerstuben sind das Zeugnis des Scheiterns dieser Politik. Betroffen von der repressiven (unterdrückenden) und irrationalen (vernunftwidrigen) Drogenpolitik waren jedoch nicht nur die Opiatkonsumenten, sondern mehrheitlich die Gras- und Haschischraucher (Cannabiskonsumenten).

Irrationale Drogenpolitik versus vernünftige Interventionsstrategie

Bis Mitte der sechziger Jahre blieb Europa weitgehend von der in Amerika wütenden Drogenrepression verschont, obwohl auch die meisten europäischen Staaten in den zwanziger Jahren Betäubungsmittelgesetze in Kraft gesetzt hatten. Als jedoch „Flower-Power“ zum Leitmotiv einer weltumspannenden Jugendkultur wurde und überall immer mehr Hippies sich im Freien zu Musikfestivals trafen, dort Haschisch rauchten, sich Zauberpilze, Meskalin und LSD einverleibten und so Einblicke in andere Sphären gewannen, sahen konservative Politiker die traditionellen Werte der Gesellschaft gefährdet und riefen zum gnadenlosen Kampf gegen diese neue Jugendkultur auf. Durch breit angelegte Kampagnen in den Massenmedien wurde die Bevölkerung mit den aberwitzigsten Horrormeldungen bezüglich einer gigantischen Drogenwelle, die auf Europa überschwappte, bombardiert, ein konkretes Wissen über Drogen ist durch diese Kampagnen jedoch kaum vermittelt worden. Die Meldungen waren häufig suggestiv konzipiert und einseitig tendenziös ausgelegt, um in demagogischer Weise die Bevölkerung zu manipulieren. Selbst absolut harmlose Haschischraucher wurden häufig als kriminelle Rauschgiftsüchtige diskreditiert. Die Repression gewann zunehmend eine Hochkonjunktur, die bis heute anhält.

Opiumhöhle in San Francisco (USA) um 1890
Opiumhöhle in San Francisco (USA) um 1890

Repression ist eine Verhinderungspolitik. Sie sollte eigentlich die Verfügbarkeit und den Konsum von Drogen durch Verbot eindämmen. Rückblickend kann jedoch festgestellt werden, dass die illegalisierten Drogen trotz stetig steigender Repression nahezu flächendeckend erhältlich sind und von Millionen von Menschen konsumiert werden. Die Repressionspolitik führte jedoch zur gesellschaftlichen Ausgrenzung der Drogenabhängigen mit der Folge einer sozialen Verelendung, zur Steigerung der Kriminalität und zur Spaltung der Gesellschaft. Repression ist somit keine vernünftige Interventionsstrategie (Intervention = Einmischung oder Maßnahme zur Verhinderung von etwas; Strategie = genauer Plan des Vorgehens, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen; Interventionsstrategie = gezielte Maßnahme zu Verhinderung von etwas). Ursprünglich sollten durch die Verbotspolitik die Opiumhöhlen aus den Städten eliminiert werden, heute müssen jedoch die Städte um dem Drogenelend zu begegnen, Fixerstuben einrichten. Das Einrichten von Fixerstuben ist auf alle Fälle eine vernünftige Interventionsstrategie, da sie dem Siechtum vieler Opiatabhängiger entgegenwirken und dem Schutz der betroffenen Drogenkonsumenten dienen.

Repression kein Garant für Jugendschutz

Die Notwendigkeit, problematischen Drogenkonsum unter Jugendlichen zu verhindern, wird oft als Argument für ein generelles Cannabisverbot bemüht, obwohl bundesweit ca. 85% der Konsumenten von Cannabis laut offiziellen Erhebungen Erwachsene sind. Dabei beschützt eine betont repressive Cannabis-Politik keineswegs Minderjährige vor Drogen. Das zeigt die Studie „Jugendliche in Deutschland zur Jahrtausendwende: Gefährlich oder gefährdet?“ des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN). Im Jahre 2000 befragten die Wissenschaftler in mehreren Großstädten in Deutschland sowie im Landkreis Friesland (zwischen Bremen und der niederländischen Grenze) in einer Repräsentativumfrage Schüler der 9. Jahrgangsstufe zu Gewalt, Straftaten und Schuleschwänzen sowie zu ihrem Konsum von legalen und illegalen Drogen.

Mehr Drogenkonsum im repressiven München

Günther Beckstein (CSU), ehemaliger Bayrischer Ministerpräsident
Günther Beckstein (CSU), ehemaliger Bayrischer Ministerpräsident

Spitzenreiter beim Cannabiskonsum unter deutschen Jugendlichen waren dabei die Münchner Schüler, obwohl doch Bayern für seine repressive Cannabispolitik wohlbekannt ist. 14,8% der einheimisch-deutschen Jugendlichen der Hauptstadt des Freistaats Bayern hatten monatlich oder häufiger Cannabis konsumiert, mehr als in Hamburg (14,4%), Hannover (10,2%), in Friesland (9,1%) oder in Leipzig (8,1%). Nicht nur bei Cannabis sondern auch bei Alkohol liegt München vorne. Mit 10,4% konsumierten rund doppelt so viele Münchner Schüler wöchentlich oder gar täglich Alkohol als in den anderen Städten (Friesland: 6,0%, Leipzig: 5,2%, Hamburg: 5,1%, Hannover: 4,7%).

Obwohl der frühere Bayerische Innenminister und in der Folge Ministerpräsident von Bayern, Günther Beckstein, immer wieder vor der Verharmlosung von so genannten weichen Drogen warnt und gebetsmühlenartig betont, Cannabis sei nicht harmlos, wie manche falschen Propheten weismachen wollen und das Haschisch und Marihuana nachweislich schädliche Auswirkungen auf Körper und Psyche hätten und die bayerische Polizei deshalb immer konsequent alle Formen der Drogenkriminalität bekämpfe, schnitt München im Städtevergleich am schlechtesten ab. Becksteins repressive Drogenpolitik war im Ergebnis eher schadensfördernd statt schadensmindernd zu sein.

Mehr Drogenkonsum in der repressiven Westschweiz

Die Ergebnisse der KFN- Studie decken sich mit den Ergebnissen der Studie „Cannabis: Konsum, Einstellungen und Politik (PDF)“ der Schweizerische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme SFA (heißt heute Sucht Schweiz) vom Februar 2001. Es wurde festgestellt, dass Cannabiskonsum unter Männern in der cannabis-repressiven Westschweiz (französische Schweiz) weiter verbreitet ist als in der toleranteren Deutschschweiz oder im Süden des Landes im Kanton Tessin. In der französischen Schweiz wird deutlich härter gegen Cannabiskonsumenten vorgegangen als in der Deutschschweiz. Die höhere Repression zahlt sich laut der Studie jedoch nicht aus. Im Gegenteil: In der Romandie haben 39 Prozent der 15- bis 74-jährigen Männer mindestens einmal Cannabis konsumiert, in der Deutschschweiz 32 Prozent und im Tessin 28 Prozent. Bei den Frauen sind die Anteile in allen Landesteilen etwa gleich hoch. Auch die Mehrheit der Befragten bestätigt, dass Repression und das Verbot von Cannabis nicht vom Konsum abschrecken. 70 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass der Konsum dadurch vielmehr noch verlockender werde.

Weniger Drogenkonsum in den liberalen Niederlanden

Eine Studie im Dreiländereck zu Belgien und den Niederlanden in der Euregio um Aachen stellte fest, dass mehr deutsche als niederländische Schüler Cannabis konsumierten. Die Studie in der Region um Aachen, Limburg (Niederlande) und dem deutschsprachigen Teil Ostbelgiens hat Indizien dafür geliefert, dass repressive deutsche Politik auch den Konsum durch Minderjährige nicht minimiert.

Die Untersuchung Jugendliche 2001 der Gesundheitsdienste der Euregio hat festgestellt, dass der Cannabisgebrauch unter Schülern im Alter von 14-16 Jahren auf der deutschen Seite der Grenze weiter verbreitet ist als in den Niederlanden, wo Cannabis seit Jahrzehnten in Coffeeshops an Erwachsene verkauft wird. 13 Prozent der deutschen Schüler aber nur 10 Prozent der niederländischen Altersgenossen hatten im letzten Monat Cannabis konsumiert. Mit so genannten „harten Drogen“ (u.a. Ecstasy und Amphetamin) hatten gar fast doppelt so viele Deutsche als Niederländer zu tun. Auch beim Gebrauch von Alkohol und Nikotin liegen die deutschen Schüler vor den Niederländern. Insgesamt wurden 40.000 Schüler weiterführender Schulen befragt.

Weniger Cannabiskonsum im einst liberalen Schleswig-Holstein

Uwe Döring (SPD), ehemaliger Justizminister von Schleswig- Holstein
Uwe Döring (SPD), ehemaliger Justizminister von Schleswig- Holstein

Die Verschärfung der Cannabispolitik in Schleswig-Holstein im Sommer 2006 wurde von Fachleuten bereits im Vorfeld aufs Schärfste kritisiert. So hat der Deutsche Hanf Verband (DHV) in einer Meldung im Juli 2006 die Absicht der schleswig-holsteinischen Landesregierung, den Besitz von Cannabis künftig schon ab sechs Gramm und nicht wie bisher ab 30 Gramm zu bestrafen, als „beispiellose Radikalisierung“ bezeichnet. Zuvor war bekannt geworden, dass Justizminister Uwe Döring (SPD) schon in der nächsten Woche diese neue Eigenbedarfsgrenze festlegen will. Die drogenpolitische Sprecherin der schleswig-holsteinischen Grünen, die Landtagsabgeordnete Angelika Birk, warf der Koalitionsregierung aus CDU und SPD „zunehmende Repression“ und „hilflosen Populismus“ vor.

Im einst liberalen Schleswig-Holstein haben weit weniger Erwachsene und auch weit weniger Schüler gekifft als im Rest der Bundesrepublik. Das Institut für Interdisziplinäre Sucht-und Drogenforschung (ISD) in Hamburg stellte bei einer Repräsentativ-Erhebung im Jahr 2004 fest, dass 4% der 18- bis 59jährige in Schleswig-Holstein Cannabis innerhalb des letzten Jahres (12-Monats-Prävalenz) geraucht hatten, im Rest der Republik waren es fast doppelt so viele (7%). Bei den 12- bis 25jährigen lag der Anteil in Schleswig-Holstein bei 8%, im Rest der Republik jedoch gemäß Drogen-Affinitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 13%. Offensichtlich führt eine vergleichsweise liberale Cannabispolitik nicht zu einem erhöhtem Cannabiskonsum in der Bevölkerung. Ein Zusammenhang zwischen Drogenpolitik bezüglich rechtlicher Rahmenbedingungen sowie Praxis der Strafverfolgung lässt sich nicht feststellen. Somit kann eine Verschärfung der Cannabispolitik nicht rational als Maßnahme zur Reduzierung des Konsums begründet werden – doch genau das tat der Justizminister Döring. Aufgrund der Datenlage hätte im Rahmen einer Drogenpolitik mit Vernunft die „geringe Menge“ in ganz Deutschland erhöht werden müssen, dann wären in der Folge vielleicht in Bayern der Anteil der Kiffer an der Gesamtbevölkerung auf das Niveau von Schleswig-Holstein gesunken.

Gesundheitsschädigung durch Alkohol und Haschisch

Mehr als die Hälfte der Bayern (54%) ist gemäß einer Umfrage im Jahr 2001 der Meinung, dass Gras und Haschisch für die Gesundheit schädlicher seien als Alkohol; in der Hauptstadt Berlin teilt nicht einmal ein Viertel der Befragten (23%) diese Ansicht. Die Mehrheitsmeinung der Bayern entspricht auch der Ansicht der Mehrheit der Deutschen mit Volksschulbildung (52% bis 53%), der Deutschen die REPs, DVU oder NPD wählen (57%) wie auch der Deutschen, die CDU respektive CSU wählen (53%). Im Gegensatz dazu glaubt nur eine Minderheit von 29% der Deutschen mit Abitur oder Hochschulabschluss, dass Cannabisprodukte schädlicher seien als Alkohol. Von den Deutschen, die Grün wählen, teilt sogar nur jeder Fünfte (20%) diese Ansicht, bei den Wählern der PDS (heute Die Linke) etwa jeder Dritte (34%).

Bei Wählern rechtsradikaler oder rechtskonservativer Parteien wie auch in den Bevölkerungsschichten mit niedrigem Bildungsniveau herrscht mehrheitlich die Meinung vor, dass Cannabisprodukte für die Gesundheit schädlicher seien als Alkohol, bei Wählern der Parteien aus der Mitte (SPD, FDP) wie auch in Schichten mit mittlerem Bildungsniveau wird die Schädlichkeit von Cannabisprodukten und Alkohol etwa gleich groß eingeschätzt, bei Wählern der linksgerichteten PDS und der Grünen wie in Schichten mit hohem Bildungsniveau wird hingegen Alkohol als gefährlicher eingeschätzt als Cannabisprodukte. Dies ist das Ergebnis einer Emnid- Umfrage im Auftrag der Landesarbeitsgemeinschaft Drogen Berlin (LAG-Drogen) von Bündnis 90/Die Grünen vom August 2001.

EU-Parlament verlangt Drogenpolitik mit Vernunft

Sitz des Europäischen Parlaments in Straßburg (Frankreich)
Sitz des Europäischen Parlaments in Straßburg (Frankreich)

Das Europäische Parlament verlangt grundsätzliche eine Änderung der Herangehensweise in der Drogenpolitik gemäß Leitlinien des „Catania Reports„. Das heißt, dass die nationale Drogenpolitik auf wissenschaftlichen Erkenntnissen im Hinblick auf jeden Drogentyp und nicht auf einem emotionalen Impuls basieren muss, da jedes drogenbezogene Problem einen spezifischen Ansatz erfordert, da eine Verallgemeinerung des Ansatzes die Glaubwürdigkeit aller Teilaspekte dieser Politik unterminiert. Ebenso ausschlaggebend für die Glaubwürdigkeit und Effizienz ist für das Parlament, dass auf der Grundlage von Evaluierungen und Analysen eine Revision der Politiken im Bereich der so genannten „Suchtstoffe“ in Angriff genommen wird, um sie im Hinblick auf die angestrebten Ziele effizienter und wirksamer zu gestalten.

Das Europäische Parlament fordert die Entwicklung präziser, quantifizierbarer und operationeller Ziele, um zu untersuchen, ob und in welchem Umfang die Zielsetzungen und Maßnahmen, wie sie in der vorherigen Strategie zur Drogenbekämpfung formuliert waren, zu Ergebnissen geführt haben. Des weiteren fordert das Parlament, dass die von den Drogen ausgehenden Gefahren unter anderem unter wissenschaftlichen, soziologischen und kulturellen Gesichtspunkten nicht nur durch eine genaue Untersuchung der objektiven und vergleichbaren Daten, sondern auch unter sorgfältiger Beurteilung aller anderen Folgen und Schäden für die Entwicklung der Gesellschaft analysiert werden müssen, um zu verhindern, dass bei der Analyse der zahlreichen Probleme im Zusammenhang mit Drogen eine zu starke Vereinfachung betrieben wird. Das Europäische Parlament verlangt zudem, dass diese Analysen und Beurteilungen veröffentlicht werden.

Fazit – Derzeitige Drogenpolitik unvernünftig

Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 1994 festgestellt, dass ein in Grundrechte eingreifendes Mittel notwendig und geeignet sein muss, den angestrebten Zweck zu erfüllen, um grundgesetzkonform zu sein. Wenn eine repressivere Drogenpolitik nicht zum gewünschten Ergebnis führt, wie diese Studien zeigen, dann heißt das, dass der Gesetzgeber dieses Mittel nicht anwenden darf, weil den damit verbundenen Eingriffen in vom Grundgesetz geschützte Rechtsgüter kein angemessener Gewinn an anderen Rechtsgütern gegenübersteht. Stattdessen muss er weniger in Grundrechte eingreifende oder wirksamere Mittel verwenden, wie z.B. Aufklärung oder staatliche Kontrolle des Handels.

Drogenpolitik wird nach wie vor oft nicht nach Kriterien der Vernunft sondern aufgrund von fundamentalistischen Überzeugungen gemacht. Drogenpolitik wird oft auch nicht nach demokratischen Regeln gestaltet, sondern auf Basis bestimmter machtpolitischer Strukturen (z.B. europäische Strategie zur Drogenbekämpfung 2005-2012). Drogenpolitik unterliegt einem internationalen Reglement, das von fundamentalistischen Lobbyisten puritanischer Prägung (vornehmlich aus den USA) bestimmt und kontrolliert wird. Dabei handelt es sich um die gleichen Lobbyisten, die auf Basis von Täuschungen und Lügen Angriffskriege anzetteln (z.B. Irak) und hunderttausende von Menschenleben auf dem Gewissen haben. Gegen diese fundamentalistische Politik demonstrieren wir auf der Hanfparade. Wer zu dieser menschenverachtenden Politik schweigt, macht sich mitschuldig.

Quellen

  • Raschke P., Buth S., Kalke J.: Ergebnisse zum Konsum psychoaktiver Substanzen in Schleswig-Holstein (PDF) Jahresbericht 2004. Moderne Dokumentation in der ambulanten Suchtkrankenhilfe (Band 6), Kiel; Vergl. hierzu: Jens Kalke (Institut für Interdisziplinäre Sucht-und Drogenforschung ISD, Hamburg): Cannabiskonsum bei Jugendlichen – Kritische Anmerkungen zu neueren epidemiologischen Untersuchungen
  • Hans Cousto: Von der Opiumhöhle zur Fixerstube – 100 Jahre Drogenprohibition. (PDF)Eine Analyse zur Entwicklung der Drogenprohibition in Deutschland und in der Schweiz. Eine Vergleichsanalyse, Berlin, 15. Februar 2001
  • Nicola Wilmers, Dirk Enzmann, Dagmar Schaefer, Karin Herbers, Werner Greve, Peter Wetzels:Jugendliche in Deutschland zur Jahrtausendwende: Gefährlich oder gefährdet? Ergebnisse wiederholter, repräsentativer Dunkelfelduntersuchungen zu Gewalt und Kriminalität im Leben junger Menschen 1998-2000, (Interdisziplinäre Beiträge zur Kriminologischen Forschung, Bd. 23), Nomos Verlag, ISBN 978-3-7890-8253-5
  • Cannabis auf der Schwelle zum legalen Rauschmittel – Was die Schweizer und Schweizerinnen vom Cannabiskonsum halten. (PDF) Ergebnisse der neuen Repräsentativstudie der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme (SFA) zum Phänomen „Cannabis“: Konsum, Einstellungen und Politik, Vollbericht, Lausanne, 15. Februar 2001

Berlin, 17. Februar 2008
Hans Cousto