Hanfparade >> Ziele & Motto >> Rechtsstreit im Jahr 2011

Über die Abschlusskundgebung der Hanfparade 2011

Rechtsstreit um Abschlusskundgebung der Hanfparade im Jahr 2011

Die Abschlusskundgebung der Hanfparade 2011 konnte nicht wie geplant durchgeführt werden, da die Versammlungsbehörde meinte, weite Teile der Hanfparade seien „nicht auf kollektive Meinungskundgabe ausgerichtet“ und die Gesamtveranstaltung deshalb keine Versammlung im Sinne des Grundgesetzes sei. Aufgrund dieser Tatsache sahen sich die Veranstalter der Hanfparade von der Polizei massiv in ihrer Versammlungsfreiheit beschnitten und erhoben Klage gegen Versammlungsbehörde.

UPDATE: Am 10.12.2012 tagte das Berliner Verwaltungsgericht in Sachen „Hanfparade gegen Versammlungsbehörde“. In seinem Urteil schloss sich die Kammer der Sichtweise der Hanfparade weitgehend an und erklärte, dass die Abschlusskundgebung der Hanfparade „spätestens mit dem Eintreffen des Umzuges“ eine vom Grundgesetz geschützte Versammlung war.

In der Presseerklärung des JaKiS e.V. vom 10. August 2011 stellte Martin Steldinger, einer der Vorstände des Vereins, fest: „In Wahrheit sind die von der Behörde verbotenen Versammlungsteile Forum für Hanfmedizin, Nutzhanfareal, Kinderland und Hanfmarkt der Möglichkeiten von immenser politischer Bedeutung, da erst sie eine intensive Beschäftigung der Teilnehmer und Besucher mit der Vielfalt der Hanfanwendungen ermöglichen.“ Besonders schockiert waren die Veranstalter der Hanfparade über die Tatsache, dass Joachim Haß, der Leiter der Berliner Versammlungsbehörde, seinen negativen Bescheid unter anderem mit Zitaten aus Urteilen, die das Bundesverwaltungsgericht bereits im Jahr 2007 aufgehoben hatte, begründete.

Die Tatsache, dass der Leiter der Versammlungsbehörde, Joachim Haß, am 14. Juli 2011 in seinem Ablehnungsbescheid große Teile der Abschlusskundgebung der Hanfparade 2011 als nicht konform mit dem Versammlungsgesetz klassifizierte und dies mit einem vom Bundesverwaltungsgericht am 16. Mai 2007 aufgehobenen Urteil (BVerwG 6 C 23.06 betreffend Fuckparade gegen Versammlungsbehörde Berlin) begründete, löste nicht nur im Kreise der Freunde der Hanfparade Empörung aus. Dies vor allem, weil die Versammlungsbehörde von Berlin als Beklagte an diesem Verfahren beteiligt war. Der Leiter der Versammlungsbehörde, Joachim Haß, wusste als Prozessbeteiligter also genau, dass das von ihm angeführte Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 2.Mai 2006 (OVG 1 B 4.05) aufgehoben worden war.

Auch die Tatsache, dass Joachim Haß oder eine andere zuständige Person der Versammlungsbehörde für die Veranstalter der Hanfparade 2011 nach der Erteilung des Ablehnungsbescheides nicht zu sprechen waren,löste ebenso Befremden aus. Und nicht zuletzt die Tatsache, dass das Gericht am Samstag trotz dieser Umstände den Bescheid der Versammlungsbehörde nicht aufgehoben hat, löste vor allem bei Juristen Bestürzung aus, vor allem auch, weil bekannt wurde, dass das Gericht und die Versammlungsbehörde in ständigen Kontakt standen bei der Findung der Entscheidung. Hier wurden offenbar in verschiedener Hinsicht rechtsstaatliche Prinzipien gebrochen. Es sollte wohl eine politisch opportune Entscheidung gefällt werden.

„Enthält eine geplante Zusammenkunft von Personen Elemente, die sowohl auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die anderen Zwecken dienen, ist sie als Versammlung im Sinne des Grundgesetzes und des Versammlungsgesetzes zu behandeln, wenn die anderen Zwecke nicht aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters erkennbar im Vordergrund stehen.“ (Leitsatz aus dem Urteil des 6. Senats vom 16. Mai 2007 BVerwG 6 C 23.06)

Chronologie der Ereignisse

Die Organisatoren der Hanfparade waren nicht nur bemüht alles rechtlich korrekt zu machen, sondern haben nach allen Regeln der juristischen Kunst, die Anmeldung zur Hanfparade 2011 formuliert. So wurden diverse Satze aus früheren rechtskräftigen Urteilen mit in den Anmeldetext eingebunden. Dennoch hat die Versammlungsbehörde auch genau diese Passagen moniert und als Begründung verwendet, um Teile der Abschlusskundgebung nicht als Teil der Versammlung gemäß Artikel 8 Grundgesetz anzuerkennen. Die folgende Chronologie zeigt die Entwicklung des Rechtsstreites auf.

Ich stelle I. S.d. § 15 Abs. 1 VersG nach Prüfung der Sach- und Rechtslage fest, dass es sich bei der auf der Straße des 17. Juni angemeldeten Abschlussveranstaltung nicht um eine Versammlung unter freiem Himmel nach Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. §§ 1 Abs. 1 und 14 Abs. 1 VersG handelt. Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit ist nicht eröffnet, die Polizei ist nicht die zuständige Behörde. Sie benötigen insofern zur Durchführung Ihrer Veranstaltung eine entsprechende Straßen- und straßenverkehrsrechtliche Erlaubnis. Ich erneuere ausdrücklich noch einmal mein Angebot, Ihnen etwas abgesetzt von der übrigen Veranstaltung — etwa auf dem Platz des 18. März — den Aufbau und den Betrieb einer Bühne unter Versammlungsrecht zu ermöglichen.
Und in der Begründung wird auf ein aufgehobenes Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Berlin vom 2. Mai 2006 verwiesen. Wörtlich heißt es in dem Bescheid:
Die Versammlungsbehörde ist berechtigt und i. S. ihres gesetzlichen Auftrages auch verpflichtet, gemäß §§ 14 Abs. 1 und 15 Abs. 1 VersG durch feststellenden Verwaltungsakt verbindlich zu entscheiden, ob eine angemeldete Veranstaltung die Versammlungseigenschaft besitzt. Ausschlaggebend für die o. g. Ermächtigungsgrundlage ist nicht eine am Wortlaut dieser Vorschriften ausgerichtete Norminterpretation, sondern das an ihrem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang der versammlungsrechtlichen Vorschriften orientierte Normverständnis (OVG Berlin, Urteil vom 2. Mai 2006 - OVG 1 B 4.05).
Die Beurteilung, ob eine 'gemischte' Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung darstellt, ist im Wege einer Gesamtschau aller relevanten tatsächlichen Umstände vorzunehmen. Das besondere Gewicht, das die Verfassung der Versammlungsfreiheit beimisst, gebietet, dass alle wesentlichen Umstände in die Beurteilung einbezogen und ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt werden. Wird dem nicht Rechnung getragen, erweist sich die Beurteilung als rechtsfehlerhaft, weil sie nicht den Vorgaben des Art. 8 Abs. 1 GG entspricht. Die Gesamtschau hat in mehreren Schritten zu erfolgen. Zunächst sind alle diejenigen Modalitäten der geplanten Veranstaltung zu erfassen, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen. Zu vernachlässigen sind solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente, bei denen erkennbar ist, dass mit ihnen nicht ernsthaft die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die mithin nur vorgeschoben sind, um den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können. Bei der Ausklammerung von an sich auf die Meinungsbildung gerichteten Elementen unter Hinweis auf die mangelnde Ernsthaftigkeit des Anliegens ist mit Blick auf die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit Zurückhaltung zu üben und ein strenger Maßstab anzulegen. In die Betrachtung einzubeziehen sind nur Elemente der geplanten Veranstaltung, die sich aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters als auf die Teilhabe an der Meinungsbildung gerichtet darstellen. Abzustellen ist in erster Linie auf einen Außenstehenden, der sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung an ihrem Ort befindet. Auf diesen Betrachter kommt es deshalb in erster Linie an, weil eine Versammlung vorrangig durch ihre Präsenz an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit auf die öffentliche Meinung einwirken will. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist aber die Betrachtung nicht auf solche Umstände beschränkt. Es können auch Umstände von Bedeutung sein, die nicht von einem Außenstehenden "vor Ort" wahrgenommen werden können. So liegt es etwa, wenn im Rahmen von den Veranstaltern zurechenbaren öffentlichen Äußerungen im Vorfeld der Veranstaltung zum Ausdruck gebracht wird, dass mit der Veranstaltung auf die öffentliche Meinungsbildung eingewirkt werden soll, diesen Äußerungen die Ernsthaftigkeit nicht abgesprochen werden kann und sie von einem durchschnittlichen Betrachter wahrgenommen werden können. Solche Äußerungen sind jedenfalls dann von Relevanz, wenn bei der geplanten Veranstaltung selbst Elemente der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung für einen Außenstehenden erkennbar gewesen wären. In diesem Fall erweisen sich die Äußerungen im Vorfeld als gewichtiges Indiz dafür, dass die geplante Veranstaltung mit Ernsthaftigkeit auch auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet gewesen wäre. Im Anschluss an die Erfassung der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sind diese ihrer Bedeutung entsprechend zu würdigen und in ihrer Gesamtheit zu gewichten.
Daran schließt sich der zweite Schritt der Gesamtschau an, bei dem die nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung, wie etwa Tanz, Musik und Unterhaltung, zu würdigen und insgesamt zu gewichten sind. Schließlich sind — in einem dritten Schritt — die auf den ersten beiden Stufen festgestellten Gewichte der die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung betreffenden Elemente einerseits und der von diesen zu unterscheidenden Elemente andererseits zueinander in Beziehung zu setzen und aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters zu vergleichen. Überwiegt das Gewicht der zuerst genannten Elemente, ist die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung. Im umgekehrten Fall genießt die Veranstaltung nicht den Schutz des Versammlungsrechts. Ist ein Übergewicht des einen oder des anderen Bereichs nicht zweifelsfrei festzustellen, ist die Veranstaltung wie eine Versammlung zu behandeln.

Auswirkungen auf die Hanfparade 2012

Da die Gerichtsverhandlung nicht vor der Hanfparade 2012 stattfinden wird, ist keine Rechtssicherheit für die Organisatoren gegeben, dass dieses Jahr eine Abschlusskungebung, wie sie im Jahr 2011 geplant war, durchgeführt werden kann. Deshalb sind dieses Jahr außer der Bühne für die Abschlusskundgebung nur Marktstände (Infostände für Vereine und andere Organisationen ohne Verkauf) vorgesehen. Diese Stände werden auch das Forum für Hanfmedizin und das Nutzhanfareal beherbergen.

Texte mit Hintergrundinformationen

Freie Meinungsbildung ade? Wenn staatliche Behörden das Recht brechen
http://www.hanfparade.de/ziele-motto/unsere-philosophie/freie-meinungsbildung-ade.html
Versammlungsrecht und Demonstrationen
http://kulturarbeiter.blogspot.de/2011/08/hans-cousto-und-die-hanfparade-wehren.html

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