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Erinnerungen eines Pressesprechers

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von Martin Müncheberg

Am 5. August findet in Berlin die nun immerhin schon zehnte Hanfparade statt. Noch immer geht es um eine vollständige Legalisierung von Hanf als Rohstoff, Medizin und Genußmittel, denn diesem Ziel ist die Hanfbewegung leider bisher nicht näher gekommen. Doch aus der Bewegung heraus ist eine Menge entstanden: Das Hanfmuseum, die Hanfparade, Hanfmedien wie das grow! Magazin und (noch gar nicht so lange her) der Deutsche Hanfverband. Es tut sich also doch noch was. In dem folgenden Artikel werde ich nur von meine persönliche Erfahrungen und Ansichten berichten, ich weise ausdrücklich darauf hin, dass ich nicht (mehr) im Namen der Hanfparade spreche und meine Erinnerungen ganz subjektiv sind.

Wie fing das damals eigentlich an? Ich erinnere mich noch, wie ich eines Tages im Frühjahr 1997 ein mir unbekanntes Magazin namens "grow!" in die Hände bekam. Als Gelegenheitskonsument war ich sehr an Informationen rund um Hanf interessiert und verschlang die Zeitschrift regelrecht. So bemerkte ich auch, dass eine "Hanfparade" in Berlin für August mit dem Vermerk angekündigt wurde, dass dafür noch Bands und Helfer gesucht würden. Das paßte. Ich hatte eine Band und wollte helfen. Als Sänger des Elektro-Duos "Coma Candy" hatte ich gerade den Titel "Niederland" verfaßt, in welchem ich mich mit der für mich neuen Raucherfahrung in Amsterdam befaßte. Für mich war damals das Kiffen eine prima Alternative zum Saufen und als ich dann auch noch (nach und nach) erfuhr, aus welchen Gründen rauchbarer Hanf noch immer illegal ist, kiffte ich noch überzeugter und ohne jegliches Unrechtsbewußtsein. Also meldete ich mich im Büro des "Bündnis Hanfparade e.V.", damals noch im Friedrichshainer Büro des punkigen Mitglieds des Abgeordnetenhauses Freke Over (PDS) der uns von Anfang an aktiv unterstützte. Dort wurde ich sogleich der "Kultur-AG" zugewiesen, wo immer wieder neue Leute auftauchten, die - wie ich - in erster Linie daran interessiert waren, irgendeine (wirklich gaaaanz tolle) Band auf die Hauptbühne der allerersten Hanfparade zu kriegen. Doch so einfach war das gar nicht. Denn spielwütige Bands gab es viele, aktive Mitarbeiter dagegen selten und so kristallisierte sich für mich langsam heraus, dass der Vorstand des Vereins, der sich an die Organisation der Hanfparade gemacht hatte, nur noch aus drei Leuten bestand: Petra, Dirk und Gert.

Zunächst lernte ich Petra und Dirk kennen, da diese beiden die "Kultur-AG" und die "Presse-AG" leiteten. Beide waren unheimlich liebe Menschen, die manche Aufgaben jedoch etwas umständlich angingen, was mich manchmal auch Kritik üben ließ. Dann hieß es häufig: Warum kandidierst du denn nicht nächstes Jahr für den Vorstand, dann kannst du ja alles besser machen. Ich begann darüber nachzudenken und mich mit den zeitlichen Möglichkeiten eines motivierten Arbeitslosen für die gute Sache zu engagieren. Ich nahm an allen Vorbereitungstreffen teil und lernte dabei auch Gert kennen. Anfangs hielt ich ihn für einen miesepetrigen Meckerkopf, der gar nicht erst versucht, mit anderen Menschen auszukommen. Doch mit der Zeit erkannte ich, dass er den mit Abstand größten Teil der Vorbereitungsarbeit leistete und einfach keine Lust auf überflüssige Diskussionen hatte, die sich - Tüte um Tüte - endlos fortsetzen ließen. Also wurde er manchmal laut und unsachlich, manche fühlten sich dann gleich persönlich angegriffen, doch diesen Fehler machte ich nicht. Ich blieb dabei, half wo ich konnte und durfte und erreichte schließlich mein Ziel: Auch meine Band sollte auf der Hauptbühne spielen. Ich hatte mich mit Leib und Seele eingebracht und auch die damals recht bekannte Band "Blind Passengers" überzeugt, einen Soli-Gig auf der Hanfparade'97 zu spielen. Außerdem hatte ich versprochen, mit meiner Videokamera Bilder der Veranstaltung einzufangen und einen kleinen Film daraus zu schneiden.

Am 23. August war ich dann mehr als begeistert, denn ich hatte tatsächlich eine Menge zu tun, immerhin 10 Paradewagen und ein paar Tausend Menschen waren zur allerersten Hanfparade gekommen. Vom Ernst-Reuter-Platz aus ging es durch den Tiergarten zum Brandenburger Tor, vor dem die Hauptbühne und der "Markt der Möglichkeiten" auf die Demonstrationsteilnehmer warteten. Während ich auf der Suche nach geeigneten Kameramotiven den Demonstrationszug umkreiste, fand ich es doch etwas schade, dass nur die paradierenden Hanffreunde und die flankierenden Bäume etwas von der Demo mitbekamen. Ich wollte mich dafür einsetzen, dass es im nächsten Jahr an möglichst vielen Häusern vorbeigehen sollte. Dann würden viel mehr Menschen die Parade bemerken und sich vielleicht sogar einreihen. Außerdem gäbe es so auch mal die eine oder andere erhöhte Kameraposition, von der man die Masse der Teilnehmer eindrucksvoll einfangen könne. Im Tiergarten war die einzige Möglichkeit (Bilder dieses Events aus der Vogelperspektive zu schießen) die Siegessäule. Also zahlte ich 2 DM und erklomm erst- und letztmals diese Berliner Touristenattraktion. Ich habe es nicht bereut.

Als das Programm der Hauptbühne mit der Reggae-Gruppe "Makwerhu" eröffnet wurde, setzte massives Lampenfieber ein. Doch ich überlebte unseren Auftritt und kiffte danach glücklich die erste Tüte des Tages. Dann schnappte ich mir wieder meine Kamera und ging auf die Jagd. Es gelang uns bis in den späten Abend eine große Menschenmenge vor der Bühne und auf dem "Markt der Möglichkeiten" zu binden und trotz aller (nicht unerheblicher) Schulden waren wir uns einig, dass die Veranstaltung ein großer Erfolg gewesen war. Das sahen auch unsere Vereinsmitglieder und Unterstützer auf der folgenden Mitgliedervollversammlung so. Nicht erst, nachdem sie meinen Videofilm vom Veranstaltungstag gesehen hatten. Alle waren sich einig, dass es weitergehen mußte. Es fanden sich 4 neue Vorstandsmitglieder, da Petra und Dirk nicht mehr konnten und wollten. Gert blieb und ich war nun auch dabei. Ich durfte offiziell mitentscheiden und übernahm in meinem ersten Jahr die Bereiche von Petra und Dirk: Presse und Kultur. Da sich die "AGs" (Arbeitsgruppen") im ersten Jahr nicht bewährt hatten, nannte ich mich nun "Pressesprecher" und "Kulturkoordinator" (statt "Leiter der Presse-AG/Kultur-AG") und wir begannen, öffentliche Vorstandssitzungen abzuhalten. Diese Sitzungen waren offen für alle und sollten helfen, neue aktive Unterstützer zu finden. Das klappte aber erst so richtig, nachdem unser Vereinsbüro in den Keller des Berliner Hanfmuseums umgezogen war, wo es sich viel besser treffen, besprechen und planen ließ.

Wir hatten Großes vor und das Umfeld war perfekt. Alle waren begeistert von der Resonanz auf die erste Parade und wollten bei der nächsten mitmachen. Unsere einzige Sorge - die sich fast durch die gesamte Vereinsgeschichte ziehen sollte - war die ums liebe Geld. Doch dann zeigte die Hanfbierfirma "turn" großes Interesse an einer exklusiven Vereinbarung bezüglich des Getränkecaterings und war bereit, dafür einen größeren Betrag vorab zu zahlen und uns darüber hinaus am Gewinn zu beteiligen. Gert hatte auch wieder ein paar einheimische Sponsoren gefunden, die bereit waren, die nächste Hanfparade finanziell zu unterstützen. Wir waren vorsichtig optimistisch, mit der Hanfparade'98 die Schulden des ersten Jahres zu begleichen zu können, ohne neue zu machen. Doch wir hatten unsere Rechnung ohne den Berliner Senat (Abt. Bauen, Wohnen und Verkehr) gemacht hatte, der plötzlich der Meinung war, dass die Hanfparade keine politische Veranstaltung sei. Obwohl das dann doch noch schnell revidiert wurde, hieß es nun, dass ein "kommerzieller Markt" mit einer politischen Veranstaltung nicht vereinbar sei. Also erteilten sie uns keinerlei Erlaubnis für eine "Sondernutzung von Straßenland" was fast alle unsere geplanten Stände auf dem "Markt der Möglichkeiten" betraf. Dagegen machten wir mobil, nicht nur mit einem Anwalt, sondern auch mit Hilfe der Medien.

Als Pressesprecher konnte ich mich ja eigentlich gar nicht darüber beschweren, dass ich den Medien eine spannende, aktuelle Story über eine umstrittene Berliner Massenveranstaltung bieten konnte, die sich gerade mit dem Senat anlegte. Also schickte ich unendlich viele Faxe und begann eine Liste mit den für uns wichtigsten Medien zusammenzustellen. Mit Erfolg. Den Anfang machte die taz (Berliner Tageszeitung) die großaufgemacht berichtete: "Senat will Hanfparade verbieten". Dann berichtete die Berliner Abendschau (des SFB-Fernsehsenders B1, heute RBB) über den Fall, ich durfte live im Studio dabei sein und die Position des Vereins vertreten. Auch andere Berliner TV-Sender wollten plötzlich, dass ich zu ihnen ins Studio komme - am intensivsten berichtete damals TV-B über das Problem, hier saß ich eine ganze Stunde in einer Call-In-Sendung zum Thema Hanf. Die Hanfparade war für einige Tage Stadtgespräch. Viele Tageszeitungen (selbst die BILD Zeitung) und einige Berliner Radiostationen kritisierten die Senatspolitik gegenüber den Veranstaltern der Hanfparade. Das tat gut.

Auch wenn sich unser Problem gut für die Öffentlichkeitsarbeit nutzen ließ, stürzte es uns doch in existenzielle Not, da wir befürchten mußten, einen wesentlichen Teil des Gesamtbudget mit dem "Markt der Möglichkeiten" zu verlieren. Doch die Bühne war längst bestellt, das Programm stand und konnte sich sehen lassen: Wir hatten Zusagen von Christian Ströbele und Lothar Bisky, immerhin zwei bekannten Politikern aus dem Bundestag. Außerdem hatte wir auch noch ein paar gute Redner aus der Szene wie Jo Biermanski oder Paradiesvögel wie Rainer Langhans. Doch auch kulturell wollten wir dick auftragen: Ich hatte nicht nur die "5 Sterne deluxe" (Hitparaden-HipHop aus Hamburg) überzeugen können, für die grüne Sache aufzutreten, auch "Zion Train" aus England und die bekannten Berliner Bands "Die Skeptiker" und "Mutabor" wollten dabei sein.

Dank einer Eilklage in der Woche vor dem Veranstaltungssamstag konnten wir genau einen Tag vor der Hanfparade'98 den Beschluß erwirken, dass auch der "Markt der Möglichkeiten" wie geplant aufgebaut werden darf. Dennoch hatten viele Händer aufgrund der ungewissen Entscheidung bereits ihre Teilnahme abgesagt. Doch wir waren froh, dass zumindest nicht der Bier-Deal mit "turn" geplatzt war und hofften auf unsere Beteiligung. Denn nach dem ungeahnten mediellen Interesse gingen wir von einem neuen Besucherrekord aus. Zu Recht. Die Hanfparade'98 wurde ein voller Erfolg. Sie startete am Alexanderplatz und zog mit 20 Paradewagen durch das Brandenburger Tor in den Tiergarten. Hier sprach Ströbele von "vielen Zehntausend" und so sah es auch aus, wenn man von der Bühne, die dieses Mal in Höhe des sowjetischen Ehrenmahls aufgebaut war, in Richtung Brandenburger Tor schaute. Hier stand auch ein Fernseh-Übertragungswagen des SFB (Sender Freies Berlin, heute RBB) der mehrere Live-Schaltungen vom Ort des Geschehens sendete. Es war auch ein Gespräch mit mir geplant, kurz bevor es losging wurde ich gefragt, ob ich ein Problem damit hätte, während des Interviews eine Tüte zu rauchen. Ich war verdutzt, steckte mir dann aber doch eine an. Was macht man nicht alles als Pressesprecher. Die erste Frage des Abendschau-Moderators: Du kiffst hier einfach - hast du denn gar keine Angst vor der Polizei? Ich behielt die Nerven und begann die Polizei zu loben, die sich in den ersten Jahren ja noch vornehm zurückgehalten hatte. Vielleicht eine der Gründe dafür, dass ernstgemeinte Anfragen in unserem Orga-Büro eingingen, ob denn auf der Hanfparade das Kiffen wirklich erlaubt sei.

Als dann gegen elf Uhr - nachdem bis dahin alles gut über die Bühne gegangen war - tatsächlich die "5 Sterne deluxe" eintrafen und sich (wie alle anderen Bands) über unser themenbezogenes Catering freuten und erstmal einen andrehten, wußte ich, dass es nun geschafft war und ich mir keinerlei Sorgen mehr machen mußte. In Ermangelung eines Moderators war ich eingesprungen und hatte alle Bands und Redner selbst angesagt. Da ich mich auch um den reibungslosen Ablauf des Bühnenprogramms zu kümmern hatte, stand ich bis dahin ständig unter Strom, denn ständig wollten irgendwelche Leute wissen, ob denn die "5 Sterne" wirklich kommen würden. Ich nickte nur und hoffte. Denn ich konnte die HipHopper gar nicht mehr telefonisch erreichen. Ich mußte mich ganz darauf verlassen, dass sie schon noch kommen würden. Und sie kamen. Mehr als 4.000 Fans hatten sehnsüchtig darauf gewartet. Da wir eine Genehmigung bis 24 Uhr hatten, konnten die "Sterne" noch fast eine ganze Stunde lang die Bühne nutzen, erst gegen halb eins drohte die Polizei damit, die Stromversorgung zu kappen. Also beendeten wir die Veranstaltung. Das kriegte aber garnicht jeder mit. Am Brandenburger Tor lief bis nach eins House und Techno, sehr zum Tanzvergnügen der knapp 1000 Raver, die mal wieder nicht genug kriegen konnten. Erst gegen 2 Uhr begann die Polizei das Gelände zu räumen.

Trotz der großen Teilnehmerzahl schienen die Teilnehmer gar nicht so viel Bier getrunken zu haben. Die Firma "turn" erklärte jedenfalls, überhaupt keinen Gewinn gemacht zu haben und daher auch keine weitere Zahlung leisten zu wollen. Ganz im Gegenteil, sie wollten noch ein paar hundert Euro zurückhaben. Da war es wieder: unser Geldproblem. Wir mußten tatsächlich um das Überleben des Vereins und damit der Veranstaltung fürchten und formulierten verschiedenste "Hilfeschreie" an die finanzkräftige Hanfbranche. Auf der jährlichen Mitgliedervollversammlung entbrannten dann hitzige Diskussionen über das "Wie weiter?", wobei hier auch persönliche Aversionen zu unsachlichen Äußerungen führten, besonders Jörg (Chefredakteur der damals noch existenten Zeitschrift "Hanf") und Gert unterhielten die Anwesenden mit ihren radikalen Streitgesprächen. Ein neuer Vorstand wurde gewählt, Gert und ich im "Amt" bestätigt. Neben der Presse- und Kulturarbeit übernahm ich ab diesem Jahr auch den Bereich "Sponsorensuche". Dabei half mir, dass ich wieder einige Videoclips von der Veranstaltung produziert hatte, die ich nun an potentielle Sponsoren verschickte. So gelang es mir einige zahlungswillige Unterstützer zu finden, dennoch war bereits im Vorfeld klar, dass wir auf die Hauptbühne verzichten würden müssen, wenn wir ohne neue Schulden aus der Hanfparade'99 hervorgehen wollten.

Wir fuhren eine konsequenten Sparkurs und so gelang es uns tatsächlich, mit der 99er Veranstaltung unsere Vereinsschulden zu tilgen. Die Parade übernahm die Route des Vorjahres und konnte sich wieder über mehrere zehntausend Teilnehmer freuen, die sich in diesem Jahr eher um die vielen Paradewagen sammelten, die auf dem Abschlußgelände als kleine Bühnen fungierten. Wir freuten uns zudem über den Besuch des sehr entspannten Howard Marks (a.k.a. Mr. Nice), der in unserem Presseareal sogar von VIVA interviewt wurde. Da die Presse in diesem Jahr nicht mehr so ausführlich wie zuvor über die Veranstaltung berichtete, mußte sich in der Szene herumgesprochen haben, dass eine Fahrt zur Hanfparade nach Berlin lohnt. Selbst aus der Schweiz war ein Paradewagen angereist, der von da an noch oft kommen sollte. Und der "Markt der Möglichkeiten" warf in diesem Jahr auch einen guten Gewinn ab - wir hatten ja auch selbst das Getränkecatering übernommen. Alles lief erstaunlich glatt, wir hatten ausreichend Unterstützung, waren hoch motiviert und in uns wohlgesonnenen Medien tauchten hinterher sogar Teilnehmerzahlen um die 100.000 auf. Natürlich übernahmen wir derartige Zahlen gerne für die Pressearbeit, was jedoch dazu führte, dass es immer schwerer (bis schließlich unmöglich) wurde, die Teilnehmerzahl des Vorjahres zu übertreffen. Vielleicht war es uns 1999 ja nochmal gelungen.

Das neue Jahrtausend gab uns allen neue Hoffnungen auf politische Veränderungen im eigenen Land. Wir galten inzwischen als größtes europäisches Legalize!Event und hatten Sponsoren aus dem In- und Ausland. Besonders Benny ist mir im Gedächtnis geblieben, Chef einer finanzkräftigen schweizer Genossenschaft, die mir vom Chef der deutschen Firma "Hanfhaus" empfohlen worden war. Denn schon nach dem ersten Anruf zeigte sich Benny interessiert, unsere Veranstaltung finanziell zu unterstützen. Vorher wolle er aber erst mal nach Berlin kommen, um sich ein eigenes Bild vom Verein und seinen Organisatoren zu machen. Ein paar Wochen später besuchte er dann nicht nur unser Büro im Hanfmuseum, sondern ließ sich auch von mir durch Berlins Nachleben geleiten, bevor er uns vor seiner Abfahrt eine schier unglaubliche Zusage machte: 15.000 DM für die Firma "Trend-Center", die mit Abstand größte Summe, die je ein Sponsor der Hanfparade gezahlt hat. Das ließ uns wieder optimistisch in die Zukunft blicken, denn auch andere Sponsoren zeigten Interesse an unserer Veranstaltung. Insgesamt konnte ich 80.000 DM über Sponsoren für den Verein einnehmen, damit war auch wieder eine ordentliche Hauptbühne drin. Außerdem planten wir eine Ansprache über eine Funk-Anlage, die sämtliche an der Abschlußveranstaltung teilnehmenden Paradewagen mit der Hauptbühne verbinden sollte. Nach den immer gleichen Diskussionen mit Berliner Behörden über den politischen Charakter der Hanfparade wollten wir ein Zeichen setzen und mit einer flammenden Rede alle Teilnehmer aufzufordern, etwas für die Änderung des BTMGs zu unternehmen. Das sollten alle hören. Doch soweit kam es nicht.

Die Hanfparade2000 führte erneut vom Alex in den Tiergarten, wo die Hauptbühne - wie 1998 - vor dem sowjetischen Ehrenmal aufgebaut war. Wie im Vorjahr nahmen mehr als 20 Wagen an der Parade teil. Wir gingen davon aus, dass bis 19 Uhr alle Demonstrationsteilnehmer da sein würden und sich dann die größte Masse an Leuten auf dem Abschlußkundgebungsgelände befindet. Und genau dann sollte ich auf der Hauptbühne meine flammende Rede halten, die auch über alle anwesenden Paradewagen zu hören sein sollte. Zur Eröffnung des Bühnenprogramms spielte die hessische Reggaeband "Cashma Hoody", die unser diesjähriges Motto "Legalize it globally!" sogar vertont hatte. Also stand ich noch während ihrer Liveshow im Hintergrund auf der Bühne, schaute bange in Richtung Menschenmassen und fragte mich, ob ich meine Rede (so locker und mitreißend wie geplant) vor Zehntausenden hinkriegen würde. Die Funkanlage würde dafür sorgen, dass wirklich jeder mitkriegt, was ich im Namen der Veranstalter sagen würde. Und wenn ich mich dann verhasple, verspreche oder einfach nix rauskriege? Ich spürte schon den Kloß im Hals und wünschte mir insgeheim, dass ich mich dieser Herausforderung nicht stellen müsse. Als dann Cashma Hoody zum Abschluß ihres Progamms den Song "Legalize it globally!" anstimmten, wußte ich, dass ich nun gleich dran bin. Dunkle Wolken zogen zusammen, die Sonne war nicht mehr zu sehen, ein heftiger Wind setzte ein. Schon fing es an zu nieseln, der Wind wurde zu einem Sturm, der so manche Plasteplane mit sich davontrug und die Tropfen wurden fetter. Und fetter. Und zu Hagel. Im August.

Tatsächlich war gegen 19 Uhr in Berlin ein räumlich begrenztes Naturphänomen zu beobachten, das einen sonnigen Sommertag innerhalb von Minuten zunichte machte und uns eine Vielzahl von Teilnehmern vertrieb: Golfballgroße Hagelkörner prasselten auf verdutzte Hanffreunde, sorgten für Beulen und blaue Flecken und zwangen die Aushaltewilligen auf Suche nach Schutz vor der Naturgewalt zu körperlicher Nähe unter Marktständen, Plasteplanen oder der Hauptbühne, die mit Beginn des Hagelsturms vom Publikum geentert und besetzt wurde. Das versetzte uns natürlich in Angst und Schrecken, war die Bühne doch garnicht für so viele Menschen konzipiert - doch zu dem befürchteten Zusammenbruch mit möglicherweise vielen Verletzten kam es glücklicherweise nicht. Unerwartete und daher auch etwas verwirrende Hilfe erhielten die Anwesenden zudem von der Berliner Polizei, die in Windeseile mit einer großen Anteil Kleintransporter das Veranstaltungsgelände besetzte und die Schutzsuchenden in vergitterten Polizeigefährte einlud. Selten habe ich soviele schräge Typen so freudig in "Wannen" springen sehen...

Durch die gefährliche Kombination aus Sturm und Hagel wurden schlagartig alle Soundanlagen heruntergefahren und notdürftig abgedeckt. Nachdem nach einer guten halben Stunde der Hagel einen warmen Dauerregen gewichen war, ließen sich nur ein paar Tausend Unverwüstliche die gute Laune nicht verderben und blieben im Tiergarten. Nach einer weiteren halben Stunde hatte auch der Regen aufgehört und ein paar Paradewagen warfen ihre Aggregate und damit auch ihre Musikanlagen wieder an. Die Hauptbühne jedoch blieb stumm. Die Vermieterfirma empfand es als zu großes Risiko, wieder Strom durch die möglicherweise nasse bzw. beschädigte PA zu schicken. So konnten die meisten angekündigten Bands (inklusive der extra aus Prag angereisten "Hypnotix") gar nicht auftreten.

Als dann die Presse Meldungen wie "Hanfparade geht im Hagelsturm unter" publizierte, gab es auch Paranoiker im Verein, die der Meinung waren, die Polizei hätte an der Veranstaltung eine neue (und natürlich streng geheime) Wetterwaffe ausprobiert. Ich empfand das Phänomen als Glück für mich (der ich somit keine Rede halten mußte und als Stage-Manager eher Feierabend hatte) und als Pech für die Hanfparade2000, die nach 20 Uhr leider nur noch wenige Tausend Besucher halten konnte. Doch die hatten dafür umso mehr Spaß. Und unterm Strich werteten wir die Veranstaltung erneut als einen großen Erfolg, hatten doch ähnlich viele Menschen die Forderung nach legalem Hanf durch ihre persönliche Teilnahme unterstützt. Und wir waren nicht nur schuldenfrei geblieben, wir hatten sogar ein deutliches Plus erwirtschaftet und konnten uns erstmals kleine Aufwandsentschädigungen zahlen.

Voller Elan starteten wir ins neue Jahr und beschlossen endlich mal wieder eine neue Route zu einem neuen Abschlußgelände, womit wir der Forderung nach mehr politischen Inhalten Rechnung tragen wollten. Ich hatte ähnlich viele Sponsoren wie im Vorjahr überzeugen können, für die Veranstaltung Geld locker zu machen. Dafür war ich mit meinen Vereinskollegen (auch schon in den Vorjahren) zu verschieden Hanfmessen gereist, nicht nur zur CannaBusiness nach Castrop-Rauxel, sondern auch zur CannaTrade nach Bern in die Schweiz. Hier sah ich viele neue Gesichter von denen ich bis dato nur die Telefonstimmen kannte und konnte besonders effektiv meine Videos von der letzten Parade verteilen. Meistens stellten uns die jeweiligen Messeveranstalter sogar kostenlos einen eigenen Messestand zur Verfügung, an dem wir optimal (manchmal sogar mit Fernseher und Videorekorder) unsere Veranstaltung präsentieren konnten. Das half die Hanfparade in der Branche bekannt zu machen und neue Sponsoren zu finden. Ab und zu kamen auch witzige Anfragen, wie die von der Fernsehquizshow "Risiko" mit Kai Böcking. Hier durfte ich mein Wissen über Hanf unter Beweis stellen, obwohl ich am Ende der zweiten Runde an der Frage nach einem amerikanischen Präsidenten (welcher eine Hanfstengelbrechmaschine entwickelt hatte) scheiterte. Aber ich hatte Werbung für die Hanfparade gemacht und Kai vor laufenden Kameras einen CD mit Haschisch-Beilage als Geschenk überreicht.

Als dann am 1. September (es war das einzige Mal, dass die Hanfparade nicht im August stattfand) 2001 der Demonstrationszug von Kreuzberg nach Mitte zog, wartete vor dem Roten Rathaus schon eine der größten Bühnen in der Geschichte der Hanfparade auf die anrückenden Demonstrationsteilnehmer. Auch das Programm war eines der besten: wir konnten hochrangige Politiker und internationale Hanfgrößen wie Francois Reusser (Schweizerische Hanfkoordination) oder Dana Beal (Langzeitaktivist aus New York und Initiator des weltweiten "Million Marijuana March") auf unserer Bühne präsentieren. Nina Hagen, die ich im Rahmen eines "grow!" Interviews persönlich traf, sagte einen Soli-Gig für die Hanfparade zu, den ihr Manager ein paar Wochen später aber wieder absagte. Für Musik sorgten schließlich "Neues Glas aus alten Scherben", die "Sofa Surfers", "Rockers HiFi" und die Berliner HipHopper "Spezializtz". Letzteren war ihr Auftritt übrigens ein echtes Bedürfnis, sie hatten mich schon im Frühjahr angerufen und den Wunsch geäußert, in diesem Jahr dabei zu sein. Da konnte und wollte ich natürlich nicht nein sagen, zumal die Beiden neben ihren vielen Fans auch noch den damaligen HipHop-Newcomer "Curse" mitbrachten. Abgesehen von dem einzigen Totalausfall in der Geschichte der Veranstaltung (die Gruppe "Embryo" hatten einen Auftritt zugesagt und erschien dann dann aber garnicht) klappte der Programmablauf überraschend perfekt, selbst der Ausfall konnte von einem polnischen Soundsystem bestens kompensiert werden. Manche meinten gar, die wären tanzbarer gewesen, als es "Embryo" je hätten sein können. Aber die Bands mit den meisten Fans waren ja glücklicherweise gekommen und so ging bis kurz nach 24 Uhr auf dem Platz vor dem Roten Rathaus noch die totale Kopfnickerparty der "Spezializtz" ab, bis dann die Veranstaltung beendet und der Platz geräumt und gesäubert wurde. Rückblickend muß ich leider sagen, dass die Masse des jeweils zurückgelassenen "Parade-Mülls" kein ausgeprägtes Umweltbewußtsein bei den teilnehmenden Hanffreunden vermuten ließ.

Auch im Jahr 2002 übernahm ich als Vereinsvorstand wieder die Aufgabenbereiche Presse, Kultur und Sponsoring. Dabei merkte ich, dass die Hanfbranche nicht mehr so finanzkräftig und zahlungswillig die Hanfparade unterstützen konnte oder wollte. Auch die Presse schien sich kaum noch für die Veranstaltung zu interessieren. Wir wurden zwar überall klein angekündigt, aber die Titelseiten der Berliner Stadtmagazine "tip" und "zitty" kriegten wir nicht mehr. Immerhin hatten wir sie mal. Und obwohl wir von Jahr zu Jahr professioneller in der Organisation des Events wurden, waren die Teilnehmerzahlen bereits rückläufig. Vielleicht waren wir einfach nicht mehr "cool" genug.

Um neue Anreize und etwas Abwechslung zu schaffen, beschlossen wir für 2002 eine neue Route und ein neues Abschlußkundgebungsgelände. Vom Potsdamer Platz aus ging es durch die westliche City zu Kudamm, wo um die Gedächtniskirche der "Markt der Möglichkeiten" mit vielen Bühnen, der Speakers Corner, einem Nutzhanfareal und viel Laufkundschaft wartete. Auch wenn viele tausend Menschen und (und zufallsbedingt auch einige hundert verdutzte Toursiten) kamen, waren es doch nicht die Massen vergangener Jahre. Nur von der Bühne aus hatte man noch den Eindruck einer großen Menschenmenge - besonders, während "Ganjaman", "Mutabor" und die "Letzte Instanz" auf der Bühne standen. Und während fast alle Politiker außer Ströbele kaum für großes Interesse sorgten, gelang es dieses Mal nicht mal namhanften Bands wie "Dubtari" oder dem Live-Projekt des legendären Berliner DJs "Tanith" die Anwesenden dauerhaft vor der Hauptbühne zu versammeln. Dabei lief noch nie ein Bühnenprogramm so reibungslos und professionell wie in diesem Jahr ab. Doch wir kriegten eine gute Presse, auch wenn die BILD-Zeitung plötzlich mit einem ganzseitigen Artikel gegen die Parade hetzte: "Kiffer pinkeln an die Gedächtniskirche" - offensichtlich war die Pastorin der Kirche schlecht auf die Veranstaltung zu sprechen. Wir wußten auch wieso: schon im Vorfeld hatte sie versucht, die Abschlußkundgebung zu verhindern, da sie sich mit einem ihrer Gottesdienste überschnitt.

Doch dann stellten wir fest, dass Christian Ströbele während einer Zwischenkundgebung vor der CDU-Zentrale "Gebt das Hanf frei!" gefordert hatte, was einen gewissen Stefan Raab dazu inspirierte, aus diesem Ausspruch einen seiner Ulk-Hits zu basteln. Da sein Team die hierfür nötigen Urheberrechte (aus welchen Gründen auch immer) nicht vom ZDF kriegte, rief mich ein Produzent von "Brainpool" (Raabs Medien Firma) an und fragte, ob wir nicht auch Aufnahmen gemacht hätten, die den Ausspruch Ströbeles dokumentieren würden. Natürlich hatten wir. Denn wie in den Vorjahren hatte ich mich darum gekümmert, dass wir umfangreiches Videomaterial von unserer Veranstaltung erstellten, um im Nachhinein einen eigenen Zusammenschnitt anfertigen zu können. Das war in diesem Jahr von besonders großem Vorteil. Nach einigem Hin und Her konnte ich aushandeln, dass ich für die Freigabe des gewünschten Materials in Stefans Sendung "TV total" auftreten und für die Parade werben dürfe.

Im Herbst 2002 war es dann soweit. Stefan Raab produzierte mit Shaggy seinen Titel und ich war eingeladen und durfte von unserer Veranstaltung berichten. Das tat ich und war dabei unheimlich aufgeregt, was man mir aber angeblich gar nicht so angesehen hat. In der Nacht nach der Sendung, in welcher ich zum Abschluß des Gesprächs den Namen unserer Internetseite anprieß, verzeichnete unser Webmaster mehr als 30.000 Zugriffe. "Gebt das Hanf frei!" wurde ein Top-Ten-Hit und sorgte einige Wochen lang für Gesprächsstoff - und zwar nicht nur in der Hanfszene. Christian Ströbele war ein paar Sendungen später auch bei Raab zu Gast und erklärte, einen Teil seiner Einkünfte aus seiner Beteiligung an der Single der Hanfparade zu spenden. Das freute uns natürlich sehr.

Leider vergingen danach noch mehr als 10 Monate bis zur Hanfparade2003, so dass die Werbewirkung schon wieder verflogen war. Wir übernahmen die Route des Vorjahres und zogen wieder vor die Gedächtniskirche. Doch trotz aller "Laufkundschaft" waren es erneut weniger Teilnehmer als in den Jahren zuvor. Ich fand das ganz schön deprimierend und beschloß, beim nächsten Mal nicht mehr ganz soviel Verantwortung übernehmen zu wollen. Dementsprechend gab ich für 2004 die Bereiche Presse und Sponsoring an den Rotschopf Steffen ab und kümmerte mich nur noch um die Kulturkoordination. Die Hanfparade2004 führte vom Roten Rathaus nach Kreuzberg - ein letztes Mal gab es eine große Bühne, wo Bands wie "Culcha Candela", "The Special Guests" und Götz Widmann (der übrigens in wirklich jedem Jahr dabei war) die vielleicht noch insgesamt drei bis viertausend Leute unterhielten. Es war mein letztes aktives Jahr, ich verließ danach den Vorstand samt Verein.

An der Hanfparade2005 konnte ich dann auch garnicht teilnehmen, da ich an diesem Tage arbeiten mußte. Aber ich hatte einen Freund mit der Videokamera losgeschickt und war daher auch so im Bilde: Ein paar hundert Leute, 5 Paradewagen, keine Abschlußkundgebung und jede Menge Polizei, die die wenigen Teilnehmer kräftig schikanierte. Vielleicht haben wir es ja auch gar nicht anders verdient, den der Großteil der Kiffer blieb in den letzten Jahren zuhause.

Legal / illegal - scheiß egal?